Flüchtlingspolitik juristisch eingefangen: Münchener Öffentlichrechtler nehmen Stellung
Matthias Wiemers
Die Öffentlichrechtler der rechtswissenschaftliche Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität veranstalten offenbar seit Jahren „Münchener Gespräche zur Wissenschaft vom Öffentlichen Recht“, so im Jahre 2016 auch zu Fragen des Asyl- und Flüchtlingsrechts, das gerade den Freistaat Bayern und seine Staats- und Regierungspartei CSU seit zwei Jahren in besonderer Weise berührt.
Die vier im Sommersemester gehaltenen Vorträge zum Thema sind nun als handliches Buch erschienen, was einerseits die politische Debatte rechtlich versachlichen, andererseits vielleicht überhaupt erst ermöglichen kann.
Nach einer kleinen Einleitung durch die Herausgeber präsentiert der Völkerrechtler Christian Walter den völkerrechtlichen Rahmen der Migrationspolitik (S. 7 ff.). Im Mittelpunkt dieser Darstellung steht die Genfer Flüchtlingskonvention mit dem Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK, das der Staatenpraxis gegenübergestellt wird, die die souveräne Entscheidung jedes Staates über den Zugang zu seinem Territorium betont, die dem Verbot, einen Flüchtling auf irgendeiner Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung, entgegensteht.
Walter geht sodann auf alternative Schutzmechanismen und die Entwicklung des sog. subsidiären Schutzes ein. Der subsidiäre Schutz nach der EU-Qualifikationsrichtlinie wird relevant, wenn Personen mangels individueller Verfolgung nicht unter den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention fallen.
Walter betont die zeitliche Begrenzung des Flüchtlingsstatus, aber auch, dass die Frage, ob die Verfolgungsgründe weggefallen sind, in einem rechtsstaatlichen Verfahren individuell für jede einzelne betroffene Person geprüft werden müsse (S. 49 f.).
Ulrich Becker vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik referiert über „Die Zukunft des europäischen und deutschen Asylrechts“ (S. 55 ff.). Der Vorzug dieses Beitrags liegt in der Darstellung der Geschichte des Asylrechts in Deutschland und seiner Besonderheiten gegenüber etwa dem System der EU. Becker stellt eine „Reservefunktion“ des deutschen Asylrechts fest, für Fälle, in denen sich die Annahme, innerhalb der EU werde überall ausreichend Schutz gewährt, als falsch erweise (S. 72).
Sehr kritisch geht der Autor mit der Dublin III-Verordnung um, weil sie diejenigen Mitgliedstaaten aus der Hilfegewährung entlasse, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke am ehesten zur Aufnahme geeignet wären (S. 73).
Die Debatte um eine „Obergrenze“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen wird von Becker als „Gespensterdebatte“ bezeichnet, weil es hierbei in Wirklichkeit um die Frage der Verteilung von Lasten zwischen den Staaten gehe (S. 92). Bei der zukünftigen Gestaltung des Asylrechts plädiert Becker für die Stärkung der Rolle der EU, weil anderenfalls an der Wiedererrichtung von Binnengrenzen kein Weg vorbeiführe (S. 97 f.); eine ausschließliche Kompetenz der EU-Ebene lehnt er jedoch ab (S. 107). Kooperation müsse verbessert und vor allem eine Sekundärmigration verhindert werden (S. 109 ff.); eine Abkehr vom individuellen Grundrecht auf Asyl lehnt Becker jedoch ab (S. 115).
Hans-Jürgen Papier liefert mit seinem knappen Beitrag über „Asyl und Migration als Herausforderung für Staat und EU“ einige wichtige Aufklärungen (S. 117 ff.). Der Streit über die „Obergrenze“ bezeichnet Papier als Scheingefecht, das möglicherweise auf schlichter Rechtsunkenntnis beruhe (S. 122, 132). Man könne sich dem Vorwurf des Politikversagens auf der nationalen und europäischen Ebene nicht völlig enthalten (S. 125).
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts ermahnt wiederholt „die Politik“, die nicht erst mit den im September 2015 einsetzenden Migrationsbewegungen hätte umsteuern müssen und spricht insoweit von einer vorsorgenden und zur verantwortlichen Staatsleitung berufenen Politik (S. 132, 137 f.). Wie viel Zuwanderung das Land vertrage, sei eine politische Grundsatzentscheidung, für die Papier die Zuständigkeit des Parlaments gegeben sieht (S. 133). Das Verlangen nach Anerkennung einer „Leitkultur“ stoße auf erhebliche rechtliche Bedenken (S. 135 f.).
Martin Burgis „Bausteine eines Integrationsverwaltungsrechts im Werden“ (S. 141 ff.) zeigt auf, welche Herausforderungen an die öffentliche Verwaltung in Vollzug und Umsetzung der Migrationspolitik gestellt sind und betont hierbei insbesondere, dass sich Verwaltung keineswegs in Gesetzesvollzug erschöpfe (S. 160). Dies ist erwartungsgemäß der unbestimmteste Beitrag des Bandes, weil er vielfältige Lösungen „vor Ort“ naturgemäß nur andeuten kann. Burgi sieht besonders viel Integrationspotential im ländlichen Raum und etwa im Handwerk.
Fazit: lesenswert.
Die Flüchtlingspolitik, der Staat und das Recht, herausgegeben von Christian Walter und Martin Burgi, Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2017, 180 S., 19 Euro