Patron des Parteienstaats

Deutsche Juristenbiographien, Teil 16: Gerhard Leibholz (1901–1982)

Matthias Wiemers

Gerhard Leibholz wird am 15. November 1901 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren, jedoch alsbald protestantisch getauft, nimmt nach Abitur und kurzer Dienstzeit bei einem Freikorps Anfang 1919 in Heidelberg das Studium der Philosophie, der Rechte und der Ökonomie auf und promoviert dort bereits 1921 mit einer Arbeit über „Fichte und der demokratische Gedanke“ zum Dr. phil., wobei sein Heidelberger juristischer Lehrer das Thema angeregt hat. Die beiden juristischen Staatsexamina erfolgen 1922 und 1926 in Berlin. An der Universität seiner Heimatstadt promoviert Leibholz 1924 bei Heinrich Triepel über „Die Gleichheit vor dem Gesetz“. Im Jahr des Assessorexamens erfolgt die Heirat mit Sabine, der Zwillingsschwester des Theologen Dietrich Bonhoeffer. Nach ganz kurzer Zeit als Amtsrichter nimmt Leibholz eine Stelle als Referent am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht ein und leitet das dortige Italien-Referat, wo er sich mit dem faschistischen Verfassungsrecht befasst. Schon 1928 erfolgt die Habilitation bei Heinrich Triepel mit der Arbeit über „Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert“. Wiederum im Folgejahr folgt Leibholz einem Ruf an die Universität Greifswald, und zum Sommersemester 1931 erfolgt ein erster Wechsel nach Göttingen. Aufgrund eines Erlasses nach dem nationalsozialistischen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wird Leibholz im Frühjahr 1935 beurlaubt und zunächst in die Göttinger Universitätsbibliothek versetzt. Vor der Entlassung aus dem Dienst hat ihn nur die kurze Dienstzeit beim Freikorps bewahrt. Die vorzeitige Emeritierung im Dezember des Jahres erfolgt auf eigenen Antrag. Fortan lebt die inzwischen vierköpfige Familie von seinem Ruhegehalt. Familiäre Bindungen sind es wohl, die Leibholz zögern lassen, sich der weiteren Verfolgung aufgrund seiner jüdischen Abstammung durch Flucht zu entziehen. Diese erfolgt im Rahmen einer als Urlaub getarnten Schweizreise im September 1938 und führt nach England, wo der Start aufgrund mangelhafter Englischkenntnisse schon schwierig ist und wo nach Kriegsausbruch sogleich die Internierung als feindlicher Ausländer erfolgt. Nach der Freilassung des Vaters im Sommer 1940 zieht die Familie nach Oxford, wo Leibholz Gastdozent wird. Nicht zuletzt die familiären Verbindungen zu Widerstandskreisen in Deutschland dürften dazu führen, dass Leibholz in dieser Zeit zu einem Verteidiger des Widerstands wird und sich gegen die in England übliche Gleichsetzung von Deutschen und Nazis wendet.
Erst 1947 erfolgt die Erlaubnis britischer Behörden zur Rückkehr nach Deutschland, wo Gerhard Leibholz zunächst Gastprofessor wird. Dem Ruf auf den durch dessen Emeritierung freigewordenen Lehrstuhl Rudolf Smends folgt Leibholz nicht, allerdings wird seine Lehrbefugnis 1951 auf Politische Wissenschaften erweitert, denen sich Leibholz nun neben dem Verfassungsrecht annimmt. Im selben Jahr wird er zum Richter im Zweiten Senat des neu eingerichteten BVerfG gewählt und erhält dann 1958 noch einen endgültigen Ruf auf einen neu geschaffenen Lehrstuhl für politische Wissenschaften und Allgemeine Staatslehre an seiner Göttinger Universität, an die er nach Ende der Tätigkeit in Karlsruhe im Jahre 1971 ganz zurückkehrt. Am 19. Februar 1982 ist Gerhard Leibholz in Göttingen verstorben.
Die rasante Abfolge der Erlangung von Qualifikationsstufen und dem Ruf weg von der kleinsten preußischen Universität Greifswald zu einer der größten Juristenfakultäten im Reich ist schon außergewöhnlich, und die wissenschaftlichen Leistungen waren sicherlich bedeutsam. Die größte Wirksamkeit hat Gerhard Leibholz allerdings sozusagen in der Verfassungspraxis entfaltet, nämlich im Rahmen seiner zwei Jahrzehnte dauernden Tätigkeit als Richter am Bundesverfassungsgericht, für das er bereits Mitte der 1950er Jahre den so genannten Statusbericht bzw. die Statusdenkschrift verfasst hat, die wesentlich zur frühzeitigen Etablierung des neuen Gerichts als oberstes Verfassungsorgan und unabhängigem „Hüter der Verfassung“ beiträgt.
Dabei knüpft diese Wirkung durchaus an die frühen Schriften an, nämlich vor allem an die Habilitationsschrift über die demokratische Repräsentation. Repräsentation ist für Leibholz – übrigens entsprechend bei Carl Schmitt, der praktisch gleichzeitig hierzu veröffentlicht – eine rousseausche volonté générale, keine individualistische volonté des tous. Repräsentationsobjekt ist das Volk als kollektive Einheit, das von den Abgeordneten repräsentiert wird, deren freies Mandat für Leibholz hieraus folgt.
Schon 1928 ergibt sich hieraus der plebiszitär-demokratische Parteienstaat, der der unmittelbaren Demokratie im Flächenstaat angemessen ist. Repräsentation ist dann nicht mittelbare Demokratie, wie wir sie uns geläufig als Parlamentarismus vorstellen, sondern eine Form direkter Demokratie. Das Volk wird durch die Parteien mediatisiert.
Stieß diese Auffassung auch weitgehend auf Ablehnung, so war Leibholz doch in der Lage, im Rahmen seiner für das Parteienrecht zuständigen Tätigkeit im BVerfG seine Vorstellungen weitgehend durchzusetzen, untermauert durch sein mehrfach neu aufgelegtes politikwissenschaftliches Lehrbuch über den „Strukturwandel der modernen Demokratie“. Für mehrere das Parteienrecht betreffende Grundsatzentscheidungen des BVerfG, die zu einer ständigen Ausweitung etwa der staatlichen Parteienfinanzierung führten, war Leibholz als Berichterstatter im zweiten Senat tätig, und konnte erst 1966 durch einen Befangenheitsantrag gewissermaßen gestoppt werden. Praktisch Verfassungsorgane sind die Parteien bis heute geblieben, obwohl sie nach Art. 21 an der politischen Willensbildung nur mitwirken. Konsequenterweise müssen die in ihrer Bedeutung überhöhten Parteien in ihrer inneren Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen (Art. 21 Abs. 3 GG). Dies lässt sich auf Leibholz´ Lehre in der Weimarer Republik zurückführen.

Quellen:
Werner Heun, Leben und Werk verfolgter Juristen – Gerhard Leibholz, in: Eva Schumann (Hrsg.), Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit, S. 301 ff.
Christian Starck, Gerhard Leibholz, in: Häberle/Kilian/Wolff, Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, S. 581 ff.

Veröffentlicht von on Dez 4th, 2017 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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