Nazi-Alarm

Der Palandt stellt sich in der 77. Auflage seiner Vergangenheit

Rüdiger Rath

Das vielleicht wichtigste Standardwerk der deutschen Rechtswissenschaft ist ein Kind des Dritten Reiches. Der unter Juristen allseits hochgeschätzte Palandt, welcher das BGB und seine Nebengesetze kommentiert, gilt zwar seit Jahrzehnten als Musterbeispiel für Sachlichkeit und Neutralität, doch verlief seine Entstehungsgeschichte eher unrühmlich. Der Führerstaat brauchte, um den Einfluss mehrerer vor 1933 erschienener BGB-Kommentare zurückzudrängen, deren Verfasser zum Teil jüdischer Herkunft waren, eine neue, streng auf Linie der NS-Ideologie gebrachte Kommentierung des Zivilrechts (unter besonderer Berücksichtigung der Nürnberger Rassegesetze, versteht sich) mit einem besonders strammen Nazi-Juristen als Namensgeber. Den fand man in Otto Palandt, dem Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamtes und Mitglied der Akademie für Deutsches Recht. Er lieferte die Einleitungstexte der ersten zehn Auflagen und leitete die Redaktion des Werkes. Nach Kriegsende wurde „der Palandt“ ohne wesentliche personelle Brüche und konzeptionell kaum verändert weitergeführt, nur dass die NS-ideologischen Passagen entfernt und durch unverfängliche Formulierungen ersetzt wurden.
Schon häufiger in den vergangenen Jahren haben kritische Juristen aufgrund der brisanten Vorgeschichte eine Umbenennung des Palandt gefordert. Nun aber ist neuer Schwung in die Diskussion gekommen. Auf die Gründung einer „Initiative Palandt Umbenennen“ im Sommer 2017 reagiert der Verlag C.H. Beck nun in seiner jüngst erschienenen 77. Auflage mit einer kritischen Darstellung der Vita des Namensgebers Otto Palandt, die dem Werk vorangestellt ist. Ob dies allerdings ausreichen wird, um die Kritik an der unveränderten Benennung nach einem NS-Funktionär verstummen zu lassen, ist mehr als fraglich. Konsequenter wäre es sicherlich gewesen, den Kommentar endlich umzubenennen, zumal nennenswerte Umsatzeinbußen aus diesem Grunde ganz sicher nicht zu erwarten wären. Einst waren auch „Dreher/Tröndle“ oder „Schönke/Schröder“ renommierte juristische Kommentare. Dass diese heute unter anderen Namen firmieren, hat allem Anschein nach auch niemanden von ihrer Anschaffung abgehalten. Dazu sind sie viel zu unverzichtbar. Glaubt irgendjemand, dies wäre im Falle einer Umbenennung des Palandt anders?

Otto Palandt (Begründer)
Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen (Kommentar)
77. Auflage 2018; Verlag C.H. Beck München
3.297 Seiten; 115 EUR
ISBN-10: 3406714005

Veröffentlicht von on Jan 29th, 2018 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

Hinterlassen Sie einen Kommentar!