„Dem Markt wieder mehr vertrauen“

Der Historiker und Publizist Dr. Dr. Rainer Zitelmann im Justament-Gespräch anlässlich seines neuen Buches

Justament: Herr Zitelmann, nach der Lektüre Ihres Buches „Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ kann man den Eindruck bekommen, dass wohlverstandener Kapitalismus in seiner Existenz bedroht ist. Was ist das Problem?

Zitelmann: Der Kapitalismus ist von zwei Seiten bedroht: Erstens durch die Staaten und die Zentralbanken, die immer stärker regulierend in die (Finanz)märkte eingreifen. Und zweitens durch die Renaissance egalitärer Ideologien – der Hype um das Buch von Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) sowie das Marx-Revival zu seinem 200. Geburtstag sind nur zwei von vielen Indikatoren dafür.

Wie sollte die Lösung aussehen?

Entgegen dem Zeitgeist: Dem Markt wieder mehr vertrauen, mehr Kapitalismus wagen. In meinem Buch zeige ich anhand zahlreicher historischer Beispiele, dass dies stets den Wohlstand der Mehrheit der Menschen gemehrt hat.

Ist es aber nicht so, dass viele gegenwärtige Probleme die Folge eines dysfunktionalen Kapitalismus sind, der nach dem Ende des Kalten Krieges aus dem Ruder gelaufen ist. Beispiel USA: Ein Land in dem sehr viele fast alles besitzen, die weit überwiegende Mehrheit dagegen Schulden hat und bei unzureichender Gesundheitsversorgung und Alterssicherung extrem hart arbeiten muss, um die nackte Existenz zu sichern.

In der Reagan-Zeit, über die ich ausführlich in meinem Buch berichte, war es in den USA sehr viel besser – da wurde der Wohlstand der Menschen gemehrt, keineswegs nur der Reichen. Die soziale Mobilität, also die Aufstiegschancen für Menschen, waren viel größer als heute und nahmen in der Reagan-Zeit zu. Die USA haben den Pfad der kapitalistischen Tugend jedoch längst verlassen. Lesen Sie Bücher wie „Never enough. America’s Limitless Welfare State“ von William Voegeli oder „Becoming Europe“ von Samuel Gregg! Auch in den USA ist nicht der Kapitalismus aus dem Ruder gelaufen, sondern der allmächtige Staat.

Ist die quasireligiöse Konnotierung der Gesetze des freien Marktes nicht ein ideologischer Irrweg, der auch damit zusammenhängt, dass den USA die intellektuelle Entwicklung Europas fehlt? Die Aufklärung fand nicht statt – ein Umstand, der das Land bis heute in seinen Sozialstrukturen tiefgreifend prägt.

Da höre ich eine Menge alter Vorurteile heraus: Der kulturlose und „ungeistige“ Amerikaner?! Oder was meinen Sie mit „intellektueller Entwicklung“? Die Mehrheit der Intellektuellen ist in den USA übrigens leider genauso von der Religion des Antikapitalismus beseelt wie die europäischen Intellektuellen. Sie bewunderten den Sozialismus, obwohl alle sozialistischen Experimente der Geschichte ausnahmslos gescheitert sind und verachten den Kapitalismus, obwohl er – gerade in den letzten Jahrzehnten – mehr zur Bekämpfung von Hunger und Armut auf der Welt beigetragen hat als jedes System in der Menschheitsgeschichte. Ein ideologischer Irrweg sind die antikapitalistischen Theorien von Intellektuellen. Zuletzt schwärmten viele von Hugo Chávez’ Modell eines „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ in Venezuela. Wie das ausgegangen ist, kann man derzeit täglich in den Zeitungen lesen.

Haben Ökonomen wie Milton Friedman, den Sie in Ihrem Buch auch zitieren, nicht den gravierenden Fehler begangen, dass sie in ihren Markttheorien die sozialen Folgen und die Gefahren für pluralistische Demokratien ausblenden?

Die sozialen Folgen des Kapitalismus sind hervorragend: Er hat zur Steigerung des Wohlstandes gerade der Armen beigetragen. Seit der Entstehung des Kapitalismus vor 200 bis 250 Jahren hat der weltweite Wohlstand so stark zugenommen wie nie zuvor in der Geschichte, die Lebenserwartung hat sich verdreifacht. Sie ist auch heute in den wirtschaftlich freien, also kapitalistischen Ländern, sehr viel höher als in den wirtschaftlich unfreien Ländern. Was Kapitalismus bewirkt, kann aktuell jeder beobachten. Ich zeige das in meinem Buch am Beispiel Chinas, eine hervorragende Bestätigung für Friedmans Theorien: Dort ging der Anteil der Armen von 1981 bis heute von 88% auf 2% zurück. Der Grund dafür war, dass sukzessive Staatseinfluss zurückgedrängt und dem Markt mehr Raum gegeben wurde. Dagegen starben noch Ende er 50er Jahre 45 Millionen Chinesen an einer Hungersnot, die durch das größte sozialistische Experiment der Menschheitsgeschichte ausgelöst wurde.

Insbesondere die Forderung nach weniger Staat blendet geflissentlich aus, dass große Unternehmen regelmäßig von staatlichen Förderungen und staatlicher Forschung profitieren und der Staat generell die Infrastruktur entwickelt und bereitstellt, mit der dann Gewinne generiert werden können. Handelt es sich hierbei nicht um egoistische Rosinenpickerei von Seiten der Wirtschaft, die sich für gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht interessiert?

Infrastruktur? Bildung? Forschung? Da sprechen Sie Themen an, wo die Staaten derzeit bitterlich versagen. Das gilt gerade in den USA und Deutschland, wo Infrastruktur und staatliche Bildung immer schlechter werden. Die Steuereinnahmen werden leider gerade nicht dafür verwendet, sondern vor allem für Umverteilung. Schauen Sie sich an, wie die Staatshaushalte zusammengesetzt sind.

Auch in Deutschland ist die Verteilung ein Problem. Einige Experten sprechen von Feudalkapitalismus. Nach Schätzungen besitzen die reichsten fünf Prozent die Hälfte der privaten Immobilien. Jeder zweite Deutsche wohnt zur Miete. Die großen Vermögen werden überwiegend vererbt. Ist das nicht eine Zeitbombe?

Ein Problem ist das für neidische Menschen. Das stimmt. Wobei Neider sehr selten zugeben, dass sie neidisch sind, das wissen wir aus der wissenschaftlichen Neidforschung. Tatsache ist: Ungleichheit gibt es, seit es Menschen gibt. Und sie ist per se nichts Schlechtes oder Kritikwürdiges. Versuche, egalitäre Gesellschaften herzustellen, endeten immer mit Wohlstandsverlusten, wie etwa in Großbritannien der 60er und 70er Jahre oder in Unfreiheit und Diktatur, wie in den meisten sozialistischen Experimenten.
Zum Thema Vererbung: Der Anteil der Self-made Milliardäre ist heute weltweit sehr viel größer als er es vor drei Jahrzehnten war und liegt etwa bei zwei Drittel. In Deutschland gibt es in der Tat viele Erben, das ist richtig – liegt aber an dem Modell der Familienunternehmen. Ein Modell, das weltweit extrem erfolgreich ist, wie Professor Simon in seinen Arbeiten belegt hat.

In Ihrem Buch widersprechen Sie sehr deutlich der Brecht‘schen Analyse, wonach der eine deshalb zwingend arm sein muss, weil der andere reich ist. Zielen die globalen Equity-Modelle und unternehmerische Praktiken wie Leverage-Buyouts aber strukturell und systemisch nicht genau auf eine solche negative Umverteilung von Wohlstand. Kalte Enteignung und pseudoindizierte Arbeitnehmerfreisetzungen im Namen des globalen Profits?

Sie meinen das Gedicht von Brecht über den armen und den reichen Mann. Eines der dümmsten Gedichte, die je verfasst wurden. Die „Nullsummentheorie“, nach der der Reichtum der einen der Grund für den Armut der anderen ist, ist eine der primitivsten ökonomischen Laientheorien. Reich wird in Marktwirtschaften der Unternehmer, der die Bedürfnisse einer möglichst großen Zahl von Konsumenten erfüllt. Schauen Sie sich mal die Liste der reichsten Menschen der Welt an, wodurch die reich geworden sind. Nicht durch Diebstahl von den Armen, wie Nullsummen-Gläubige dies meinen, sondern durch Produkte, die von einer Vielzahl von Menschen genutzt und geschätzt werden.

Gesetzt, der Kapitalismus befreit sich von nationalen und internationalen Fesseln – Tendenzen sind ja deutlich erkennbar, beispielsweise in dem amerikanischen Bestreben bestehende Handelsregulierungen aufzuheben oder zu brechen. Wie wird die Finanzwelt dann aussehen und was passiert mit der gegenwärtigen extremen Staatsverschuldung in den westlichen Industrienationen?

Die extreme Staatsverschuldung ist eines der größten Probleme, hat aber nichts mit Marktversagen, sondern mit Staatsversagen und den Auswüchsen des Umverteilungsstaates zu tun. Und ich sehe nicht, dass die Amerikaner Handelsregulierungen aufheben, sondern neue schaffen – Trumps Protektionismus hat mit Kapitalismus absolut nichts zu tun, sondern ist das Gegenteil davon. Kapitalismus und Freihandel gehören zusammen.

Das Interview führte Justament-Autor Jochen Barte.

Informationen:
http://kapitalismus-ist-nicht-das-problem.de/

Zur Rezension des Buches geht es hier.

Veröffentlicht von on Jul 2nd, 2018 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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