Der Band der Tagebuch-Veröffentlichung schließt die Lücke zwischen 1925 und 1929 und wird als „TB IV“ bezeichnet
Matthias Wiemers
Der letzte, noch fehlende Band der Tagebuch-Aufzeichnungen Carl Schmitts umfasst zwar nicht eine politisch so interessante Zeit wie Band V, der bereits 2010 erschienen war, jedoch wohl die hinsichtlich seines wissenschaftlichen Werks interessanteste Zeit, nämlich die Endphase an der Bonner Universität, in der mit „Der Begriff des Politischen“ und „Verfassungslehre“ die wohl berühmtesten und bis heute einflussreichsten Schriften Schmitts erscheinen, und die erste Phase des Wirkens in Berlin, nach dem Wechsel an die dortige Handelshochschule zum SS 1928.
Herausgeber des abermals bei Duncker & Humblot in gewohnt professioneller Form erschienenen Bandes sind nunmehr nur noch Martin Tielke und Gerd Giesler. Ernst Hüsmert, jugendlicher Freund des ins heimatliche Sauerland exilierten Schmitts und mehrfacher Mitherausgeber der Tagebücher, ist im November des vergangenen Jahres verstorben.
Wer eine nach dem Eindruck der Gesamtlektüre hervorragende Zusammenfassung lesen will, dem sei die umfassende Einführung von Martin Tielke anempfohlen. Tielke gibt hierin zudem noch weitere Hintergrundinformationen, die dem Band als solchem nicht zu entnehmen sind. Man kann die Tagebücher auch unmöglich an einem Stück lesen, dazu sind die Eintragungen meistens einfach zu banal. Deshalb ist es hilfreich, wenn man anhand der Zusammenfassung Tielkes klare Entwicklungslinien verfolgen kann, ohne diese bei Lektüre der Tagebücher selbst herauspräparieren zu müssen.
Der Einführung folgt nach ein Bericht von Gerd Giesler als „Rückblick auf die Editionsarbeit an den fünf Bänden Tagebücher Carl Schmitts aus den Jahren 1912 bis 1934“.
Die dann jahrweise gegliederten Tagebuchaufzeichnungen sind weitgehend von Martin Tielke bearbeitet worden. Im Anschluss daran (ab S. 406) folgt – wie auch schon in Bd. V – das „Paralleltagebuch“ Schmitts, im Sinne eines Gedankenspeichers, wie er im „Glossarium“ den Gesamtcharakter des Tagebuchs geprägt hatte.
Ein Anhang enthält einige Briefe und Fotografien. Der Band kann neben der Chronologie auch über ein ausführliches Personenverzeichnis im Anhang erschlossen werden.
Im Verlauf der Tagebucheintragungen haben die Herausgeber Details sowie Unklarheiten und Fehler anhand von Fußnoten erklärt und geklärt.
Carl Schmitt war durchaus nicht uneitel, und wohl deshalb sah er durchaus kritisch auf seine Kollegen. Während schon in Bd. III das Verhältnis zu Erich Kaufmann zerrüttet ist, gibt es hier etwa unterschiedliche Anmerkungen zu Rudolf Smend. Das zuvor gute Verhältnis zu Hermann Heller zerbricht Ende 1928 (s. S. 243 und den Briefwechsel S. 500 ff.).
Während in Bd. III das Thema der Scheidung von der ersten Frau oft erwähnt wird, erfolgt im vorliegenden „Berichtszeitraum“ die Heirat mit der zweiten Frau Duschka Todorovic (8. 2. 1926), die von Beginn an an einer Lungenerkrankung leidet, was Schmitt in den Tagebüchern sehr beschäftig. Ein langer Aufenthalt Duschkas in der deutschen Lungenklinik „Kaiser-Friedrich-Krankenhaus“ in San Remo führt auch den Ehemann Anfang 1929 auf Besuch nach Italien. Schmitt betrügt Duschka im Verlauf des gesamten Bandes und hat sowohl in Bonn wie auch in Berlin eine Geliebte sowie zahlreiche andere Sexualkontakte. Die Behandlungskosten für Duschkas Lungenkrankheit bedrücken ihn. Gleichzeitig finden sich leicht überwiegend Notate, in der er sich seiner Liebe zur Ehefrau versichert. Die Hochzeit hat, da die Annulierung der ersten Ehe endgültig gescheitert ist, zur Exkommunikation Schmitts aus der Katholichen Kirche geführt, die bis zum Tod Duschkas im Jahre 1950 anhält.
Als besonders enge Freunde erweisen sich der Bonner Industrierechtler Heinrich Göppert und der Hallenser Staatsrechtslehrer Carl Bilfinger, mit dem Schmitt später (1932) im „Preußenschlagsprozess“ vor dem Leipziger Staatsgerichtshof gemeinsam auftreten wird.
In Konkretisierung meiner Besprechung von Bd. III (ebenfalls bei „Justament“, u. d. T. „Bonner Wanderungen – erster Teil“) möchte ich mich der Wertung Martin Tielkes anschließen, der in seiner Einführung (S. XXVIII) ausführt, ein Antisemit im Sinne des Rassismus sei Schmitt nicht gewesen, gleichwohl ist eine gewisse Judenfeindlichkeit erkennbar. Auch hier jedoch weist Tielke zu recht darauf hin, dass Schmitt zu vielen Juden gute Beziehungen und Freundschaften unterhielt. Wer also bei Lektüre darauf wartet, spätestens Ende der 1920er Jahre Schmitt als anfällig für den Antisemitismus der Nationalsozialisten entlarven zu können, muss enttäuscht werden.
Im Ergebnis wird man sagen können, dass alle erschienen Bände der Tagebücher Carl Schmitts einen Beitrag zum besseren Verständnis dieses bedeutenden Staatsrechtslehrers und politischen Denkers leisten. Ohne die Lektüre einer Biographie können sie aber den Blick auch verzerren, und für den Fall, dass sich ein Autor noch einmal an eine Biographie begeben sollte, wird er aufgrund der nun vollständig vorliegenden Tagebücher nur wenig anders schreiben müssen. Herausgebern und Verlag ist für ihre mühevolle Arbeit zu danken.
Carl Schmitt, Tagebücher 1925 bis 1929, herausgegeben von Martin Tielke und Gerd Giesler, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2018, XXXIV 545 S. 79,90 Euro (ISBN 978-3-428-15296-4)