Ein früh Vollendeter des Deutschen Staatsrechts

Deutsche Juristenbiographien, Teil 21: Günther Holstein (1892 – 1931)

Matthias Wiemers

Günther Holstein, ein Vertreter der so genannten geisteswissenschaftlichen Methode im Staatsrecht der Weimarer Republik, wird am 22. Mai 1892 in Berlin geboren. Nach Abitur am Humboldt-Gymnasium 1910 nimmt er 1911 das Studium der Rechtswissenschaften, daneben Philosophie und Theologie, in München auf und wechselt im Folgejahr an die Universität Berlin. Als erster akademischer Mentor wird Josef Kohler genannt. Dem Referendarexamen, das Holstein am 2. August 1914 mit der Note „ausreichend“ besteht, folgt unmittelbar die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Auf das Eiserne Kreuz Erster und Zweiter Klasse ist der mehrfach schwer Verwundete stolz.
Parallel zum Kriegsdienst ist Holstein als Referendar tätig, legt ein weiteres Examen jedoch nie ab. Dass Juraprofessoren nur das Erste Staatsexamen ablegen, kommt auch in späterer Zeit noch öfter vor – was an den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten liegt. Dass auch ein „ausreichend“ im Referendarexamen nicht das Ende einer wissenschaftlichen Karriere sein muss, zeigt jedenfalls für die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts der Fall Günther Holstein: Er erlangt Kontakt zu dem seinerzeit in Berlin tätigen Erich Kaufmann, der die am 30. Januar von der Fakultät angenommene Arbeit über „Die Lehre von der öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkung“ betreut. Die geisteswissenschaftlichen Interessen Holsteins dokumentiert die Habilitationsschrift über „Die Staatsauffassung Schleiermachers“, mit der Holstein am 22. Dezember 1921 in Bonn habilitiert wird, wohin sein Lehrer Kaufmann inzwischen berufen worden ist.
Beim ersten Ruf nach Greifwald, an die seinerzeit kleinste Juristenfakultät in Preußen, treten Schwierigkeiten auf. Nach dem Weggang Carl Schmitts nach Bonn gibt es dort nur den weitgehend unbekannt gebliebenen Erhard Neuwiem, der, 1889 geboren, seit 1920 Ordinarius in Greifswald ist und mit der Suche nach einem Nachfolger für Schmitt beauftragt wird. Zum Problem werden nun das nur ausreichende Referendarexamen und die nicht abgeschlossene Referendarausbildung. Gutachter Neuwiem bemängelt die nach seiner Auffassung kaum vorhandenen juristisch-dogmatischen Arbeiten – mit Ausnahme der Dissertation. Erst eine Petition der Greifswalder Studenten zu Gunsten des beliebten und schon an der Hochschule tätigen Dozenten Holstein führt zu einem Einlenken des preußischen Ministeriums.
Seit dem Wintersemester 1922/23 in Greifswald als Dozent tätig, dann Lehrstuhlvertreter und ab Juli 1924 als Ordinarius, lehrt Holstein bis zu seinem Weggang nach Kiel zum WS 1930/31 in Greifswald. Dem Wechsel waren 1929 Rufe nach Kiel und Tübingen vorangegangen. Bereits kurz nach Aufnahme der Lehrtätigkeit verstirbt Holstein im Januar 1931 in Kiel.
Was wir heute über Günther Holstein wissen, lässt sich im Wesentlichen der Greifswalder Antrittsvorlesung von Stefan Korioth entnehmen, die dieser im Juni 1997 an dieser bis heute zumeist als Zwischenstation dienenden Fakultät gehalten hat.
Trotzdem nur 38jährig verstorben, muss die Bedeutung Günther Holteins für die Entwicklung des öffentlichen Rechts als wesentlich bezeichnet werden. Er ist von Anfang an an der Etablierung der so genannten geisteswissenschaftlichen Methode im öffentlichen Recht beteiligt, um die es dann wesentlich auf der Staatsrechtslehrertagung 1926 in Münster zum Streit mit den Vertretern des überkommen staatsrechtlichen Positivismus kommt. Holstein verwirklicht diese geisteswissenschaftliche Methode insbesondere im Rahmen seines Lehrbuchs über die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts aus dem Jahre 1928.
Die viel diskutierte „Wendung zur geisteswissenschaftlichen Methode“ wurde zwar schon von Holsteins Lehrer Erich Kaufmann betrieben, doch ist es gerade Günther Holstein, der in einem programmatischen Aufsatz für das Archiv des öffentlichen Rechts im Jahre 1926 „Von Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft“ schreibt und sich hierzu auch auf jener Münsteraner Tagung äußert (VVDStRL 3 (1927), S. 55 f.).
Geisteswissenschaftliche Methode bedeutete die Suche nach einer materialen Staatstheorie. Bei aller Verschiedenheit im Einzelnen, waren sich ihre Vertreter doch in der Ablehnung des staatsrechtlichen Positivismus einig, wonach die Rechtsordnung nicht nur auch sich selbst heraus zu erklären sei – wie es insbesondere in Hans Kelsens „Reiner Rechtslehre“ geschah –, sondern sie müsse zurückgeführt werden auf die „Rechtsauffassung der Gesamtheit“ (G. Holstein), eingebettet und erklärt aus einer einheitlichen Summe psychologischer, soziologischer, ethischer Wertvoraussetzungen objektiver Art.
Günther Holstein hat in nur wenigen Jahren wissenschaftlichen Wirkens wesentliche Beiträge geleistet. Einen habilitierten Schüler konnte er in Greifswald nicht hervorbringen, doch lohnt sich die gelegentliche Erinnerung an diesen Vertreter des konservativen protestantischen Bürgertums. Hat er zwar eine Gegenposition zum Legalitätsdenken des juristischen Positivismus formuliert, so hat er jedoch keine in sich geschlossene Verfassungstheorie geschaffen. Insoweit ist Korioth zuzustimmen.

Quellen:
– Stefan Korioth, Normativität mit Vorbehalt – Günther Holsteins Greifswalder Beitrag zur Methodendiskussion in der Weimarer Staatsrechtslehrer, AöR 1998, S. 606 ff.
– Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1914 – 1945
– Matthias Wiemers, Das Bild der Öffentlichen Verwaltung bei Hans Peters

Veröffentlicht von on Aug 20th, 2018 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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