Bitcoin

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

selten habe ich mit meiner Einschätzung so danebengelegen. Als mir vor ein paar Jahren mein damals 16-jähriger arabischer Nachhilfeschüler beiläufig erzählte, dass er eine stattliche Anzahl Bitcoins besitze und diese bereits unglaublich im Wert gestiegen seien, riet ich ihm sehr dringend dazu, seine Restbestände schnellstmöglich zu verkaufen, denn das mit dem Bitcoin sei zweifellos ein riesengroßer Schwindel, eine Art Schneeballsystem, letztlich nur hochgejubelte heiße Luft ohne jeglichen inneren Wert, und diene einzig und allein der Geldwäsche in großem Stil. Noch dazu sei es eine riesige Umweltsauerei. Die dahinter stehende Blockchain-Technologie habe zwar durchaus beachtliche Potentiale, aber das habe rein gar nichts mit dieser unsäglichen Zockerei zu tun. Seine Gewinne, so empfahl ich ihm, solle er lieber klug investieren, sich z.B. ein breit diversifiziertes Aktiendepot zusammenstellen und dessen Erträge dann über lange Zeiträume reinvestieren. So könne er auf dem Wege der Beteiligung am Produktivkapital eine stetig wachsende regelmäßige Einkommensquelle generieren und sich so perspektivisch von der Mühsal der Erwerbsarbeit befreien…

Als ich ihm das erzählt hatte, lachte er mich nur aus. Der Bitcoin, das wisse er ganz genau und aus sicherer Quelle, werde immer weiter steigen, da es von ihm nur ein begrenztes Angebot gebe, das auf eine immer weiter wachsende Nachfrage treffe. Und daher denke er gar nicht daran, seine Bitcoins zu verkaufen. Außer dreien von den ehemals fünfzig in seinem Bestand, die er vor ein paar Monaten mal versilbert habe, um sich damit ein angenehmes Leben zu machen. Er wies mit der Hand auf seinen überdimensionierten Flachbildschirm an der Wand. Außerdem zog er zum Beweis noch einen 100 Euro-Schein aus seiner Tasche und zerriss ihn vor meinen Augen in kleine Schnipsel, was natürlich als größtmögliche Demütigung für denjenigen gemeint war, der ihm für dreißig Euro pro anderthalb Stunden Nachhilfe in Deutsch und Mathe gab und ihm dann noch etwas übers Geldverdienen erzählen wollte…

An seinem mittleren Schulabschluss ist er damals gescheitert. Er hat ja auch nie gelernt, sondern sich lieber mit Typen aus irgendwelchen Gangs getroffen und Drogen genommen. Seit Jahren habe ich dann nichts mehr von ihm gehört. Aber wenn er seine Bitcoins bis heute behalten hat, sollte er inzwischen locker Millionär geworden sein, und das trotz der aktuellen Kurskorrektur…

Dennoch hat sich an meiner grundsätzlichen Eischätzung des Bitcoins und auch aller anderen sogenannten Kryptowährungen bis heute nichts geändert. Dass deren Kursentwicklung derzeit offensichtlich vor allem an launigen Twitter-Tweets von Elon Musk hängt, macht das Ganze in meinen Augen nur noch anrüchiger als ohnehin schon. Allerdings bin ich mir mittlerweile längst nicht mehr so sicher, dass diese Spekulationsblase, aus der vielleicht einmal die größte Spekulationsblase aller Zeiten erwachsen könnte, am Ende wirklich platzen wird. Es mehren sich nämlich die Anzeichen, dass der Bitcoin inzwischen systemrelevant geworden ist, d.h. dass im Falle seines weltweiten Verbots oder zumindest seiner strengen Reglementierung (was schon vor einigen Jahren der einzig richtige Schritt gewesen wäre) Erschütterungen drohen könnten wie zuletzt in der Finanzkrise, die im Interesse der Allgemeinheit natürlich unbedingt vermieden werden sollten. Von daher kann sich die Bitcoin-Blase also noch beträchtlich weiter aufpumpen. Es gibt ja auch noch große Mengen an Schwarzgeldern rund um den Globus, die irgendwo geparkt und dabei idealerweise auch gleich noch gewaschen werden wollen. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der holländischen Tulpenmanie im Jahr 1637 war eine einzige türkische Tulpe soviel wert wie ein Einfamilienhaus in Amsterdam. Für einen Bitcoin bekommt man aber heute noch nicht einmal eine winzige 1 Zimmer-Eigentumswohnung in Spandau. So gesehen gibt es in der Bewertung also noch reichlich Luft nach oben… Außer es kommt irgendwann doch noch ein Verbot.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Mai 24th, 2021 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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