C. S. und E. W. B.

Ein außeruniversitäres Lehrer-Schüler-Verhältnis in Briefen

Matthias Wiemers

Der neben dem Briefwechsel mit Ernst Jünger sicherlich umfangreichste Briefwechsel Carl Schmitts ist derjenige mit seinem Nachkriegsschüler Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930- 2019).
Der Heidelberger Politikwissenschaftler und Philosoph Reinhard Mehring, Autor der umfangreichsten Schmitt-Biographie (2009), hat es nun unternommen, erstmals im Nomos Verlag einen Carl-Schmitt-Briefwechsel herauszugeben. Und dieser hat es in sich.

Der Staats- und Völkerrechtslehrer Carl Schmitt wirkte ab 1947 von seiner Heimatstadt Plettenberg im Sauerland aus auf einen in aller Welt ansässigen Schülerkreis ein. Zwar war bekanntlich für Schmitt ein persönliches Gespräch durch nichts zu ersetzen, allerdings schrieb er auch Briefe – wie auch die Leser dieser Seite bereits Gelegenheit hatten festzustellen.

Wie generell die Briefwechsel Schmitts grundsätzlich interessanter sind als die ebenfalls vielfach publizierten Tagebücher, so hat Mehring hier auf gut 800 Seiten den Briefwechsel Carl Schmitts mit Ernst Wolfgang Böckenförde sowie seinem zwei Jahre älteren Bruder Werner und dem jüngeren Bruder Christoph erschlossen.

Die Böckenfördes, die noch mehrere weitere Geschwister hatten, nahmen im Jahre 1953 erstmals Kontakt zu C. S. auf. Ernst Wolfgang und sein Bruder Werner standen damals kurz vor ihren juristischen Staatsexamina in Münster und schreiben 1953 erstmals von Arnsberg aus Carl Schmitt an, der in seinem Heimatstädtchen im selbstgewählten Exil lebt. (Im Laufe der Zeit tituliert Schmitt seine Absenderanschrift mit „San Casciano“, dem Rückzugsort Macciavellis in der Toscana.)
Liest man die knapp 500 Briefe, von denen die meisten von E W B stammen, so wird deutlich, dass hier das wohl intensivste Lehrer-Schüler-Verhältnis entsteht, das man sich vorstellen kann. Die Böckenfördes – vor allem Ernst-Wolfgang, anfangs auch noch Werner und später Christoph, die alle in Münster Jura studiert und dort auch promoviert haben, besuchen Schmitt von Arnsberg aus, wohin der Vater Böckenförde nach dem Zweiten Weltkrieg als Forstmeister versetzt wurde (Reisedauer laut Angaben im Band: etwa 45 Minuten), und Carl Schmitt wird bei allen dreien zum Ratgeber bei deren wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten.
Bei Ernst Wolfgang begleitet Schmitt intensiv den Prozess der Themenfindung und Entstehung seiner beiden Dissertationen und der Habilitationen, wobei Böckenförde – auf Vermittlung Schmitts – sowohl in der juristischen wie in der geschichtswissenschaftlichen Dissertation jeweils eine Reihe im Verlag Duncker & Humblot eröffnet.
Weiterhin ist zu betonen, dass Böckenförde im ständigen Dialog mit Schmitt die Zeitschrift „Der Staat“, die man nicht zu Unrecht jedenfalls ursprünglich als Hauspostille der Schmitt-Schule bezeichnen kann, konzipiert und ins Leben ruft. Interessant ist hier aber, wie beide genau diesen Eindruck der Lagerbildung zu vermeiden suchen. Auch Dankesworte in Vorworten zu Qualifikationsschriften versucht Schmitt den Böckenfördes auszureden.
Schließlich wirkt Schmitt über seinen Schüler Ernst Forsthoff daran mit, dass Böckenförde 1964 nach Heidelberg berufen wird und hierzu auch seine Habilitationsschrift über die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung ziemlich schnell zum Abschluss bringt.

Von Böckenförde werden stets nur die Anreden „Sehr verehrter, lieber Herr Professor“ oder „verehrter, lieber Herr Professor“ benutzt, während Schmitt zumeist „Lieber Ernst-Wolfgang“ schreibt und am Ende des Briefwechsels auch gelegentlich ins einseitige Du abrutscht.
Der Band ist in zwei Teile gegliedert, wobei Teil A den besagten Briefwechsel enthält. Mehring gliedert diesen wiederum in vier Buchstaben, wobei Teil A der umfangreichste ist. „Lehrjahre und Qualifikationsschriften“ steht im Zentrum des Titels. Hier hätte man vielleicht die Gliederungspunkte etwas anders bezeichnen können, denn es geht mit B. weiter, unter dem Titel „Heidelberger Netzwerke: Redakteur von Schmitts Spätwerk.“ Darin wird deutlich, wie Böckenförde es zwar vermochte, die „Verfassungsrechtlichen Aufsätze“ 1958 an da Licht der Welt zu bringen, wobei er in den Folgejahrzehnten immer wieder damit scheitert, noch weitere Bände gesammelter Schriften zu publizieren. An der zweiten Festschrift für Schmitt im Jahre 1968 ist Böckenförde nicht nur Herausgeber, sondern auch Organisator – wie er in Absprache mit Schmitt auch eine der Festschiften für Forsthoff (Ebracher Studien, 1967) ins Werk setzt.
Es folgen C. „Neue Wege in Bielefeld (1969-1977) und D. „Freiburger Jahre: finales Bemühen um Schmitts Werk (1877-1984)“

Der große Teil B, also die letzten 150 Seiten dokumentieren Widmungstexte in Schriften der beiden Protagonisten, Briefwechsel mit Werner und Christoph Böckenförde, einige Texte von Schmitt und Böckenförde, darunter vor allem Rezensionen, womit versucht wird, die Deutungshoheit über Schmittsche Themen ein wenig zu behalten.

Der Band ist kostspielig, vielleicht weil nicht genügend Fördermittel bereitstanden. In jedem Fall ist den Beteiligten – neben Reinhard Mehring vor allem dem Nomos Verlag – ein großes Lob auszusprechen. Böckenförde hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sich als Schmitt-Schüler verstand. Gleichwohl zeigt der vorliegende Briefwechsel, in welchem Maße die anderen Lehrer Böckenfördes – Hans Julius Wolff, Franz Schnabel, ein wenig wohl auch Hans-Ulrich Scupin, hinter diesem Exilanten aus dem Sauerland zurückstanden.
Für die Biographie Carl Schmitts schließlich wird deutlich, wie dieser offensichtlich nicht erst nach dem Tod der Tochter Mitte 1983 merklich „abbaut“. Im vorletzten Brief berichtet Böckenförde von seiner Wahl zum Bundesverfassungsrichter, im letzten, einen Tag nach Schmitts 96. Geburtstag 1984, berichtet er ihm von der anstrengenden Arbeit in Karlsruhe.
Das Lebensbild Carl Schmitts, das nun schon mehrfach in Buchform gefasst wurde, erhält durch die Wiedergabe dieses Briefwechsels wichtige Ergänzungen.

Reinhard Mehring (Hrsg.), Welch gütiges Schicksal. Ernst-Wolfgang Böckenförde/ Carl Schmitt: Briefwechsel 1953-1984, Baden Baden 2022, 870 Seiten, 169 Euro (ISBN 978-3-8487-8427-1)

Veröffentlicht von on Juni 20th, 2022 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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