Systemwechsel?

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

meine Mutter war zu ihren Lebzeiten immer sehr skeptisch, was meine Wohnungskäufe anging. „Was machst du denn, wenn wieder ein Systemwechsel kommt?“, fragte sie mich nicht nur einmal. „Woher willst du denn wissen, ob das in Zukunft überhaupt noch erlaubt sein wird, so viele Wohnungen zu besitzen?“ Damals, als sie mir das sagte, also vor ihrem Ableben im Jahr 2016, nahm ich ihre Bedenken nicht besonders ernst. Schließlich leben wir in einem freien Land, dachte ich mir, und da kann jeder weitgehend nach Belieben sein Geld auch in Immobilien investieren. Und warum sollte sich daran jemals etwas ändern? Da hätte doch nun wirklich niemand ein Interesse daran, außer vielleicht den Allerärmsten, die eventuell eine Revolution herbeisehnen. Aber der breiten Masse geht es doch hierzulande ausgezeichnet, dachte ich, zumal im Vergleich zu anderen Weltgegenden oder zu früheren Epochen. Was soll sich denn daran in Zukunft schon großartig ändern?

Das sah meine Mutter damals natürlich ganz anders. Sie sei kurz nach einem Systemwechsel (1933) geboren worden und habe dann 1945 und 1989/90 noch zwei weitere Systemwechsel in ihrem Leben erlebt. Ihr Schwager, mein Onkel Karl, der schon etwas älter war, habe sogar vier Systemwechsel miterlebt: 1918/19, 1933, 1945 und 1989/90. In ihrer kleinen mecklenburgischen Heimatstadt habe man über die Jahrzehnte immer wieder den plattdeutschen Spruch gehört: „Wenn dat mol wedder anners kümmt…“ (hochdeutsch: „Wenn das mal wieder anders kommt…“). Zum Beispiel, wenn zu DDR-Zeiten einem neugeborenen Kind ein jüdischer Vorname wie Sarah gegeben wurde, dann sorgten sich die Älteren, dass man deshalb womöglich irgendwann noch mal Schwierigkeiten kriegen könnte…

Doch konnten solche Betrachtungen meinen Zukunftsoptimismus nicht im Mindesten erschüttern. Das erste Mal, dass ich ins Grübeln kam, war erst vor ein paar Jahren, als der aufstrebende junge SPD-Politiker Kevin Kühnert (der immerhin bald darauf für ein paar Jahre Generalsekretär seiner Partei werden sollte) erklärte: „Mit welchem Recht besitzt jemand 20 Wohnungen?“ Und jeder solle nach seiner Meinung nur maximal Eigentümer der Wohnung sein dürfen, die er selbst bewohnt. (Dabei zählen zu denen, die er da perspektivisch enteignen wollte, nicht zuletzt viele kleine Freiberufler ohne staatliche Rentenansprüche mit ein paar vermieteten Wohnungen als Altersvorsorge.) Und große Industriebetriebe wollte Kevin Kühnert gleich auch noch verstaatlichen. Die Angriffe auf unsere liberale Demokratie von links wurden also langsam bedrohlicher. Und doch sind das nur Probleme, die wir heute gerne hätten, denn die eigentliche und viel massivere Bedrohung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung kommt bekanntlich mittlerweile von rechts. Eine gesichert rechtsextremistische Partei führt zur Zeit bundesweit die Meinungsumfragen an und liegt in den beiden ostdeutschen Bundesländern, wo im nächsten Jahr Landtagswahlen stattfinden, mit jeweils ca. 40 Prozent Zustimmung schon fast uneinholbar vorne. Das muss man sich mal vorstellen! Da erkennt man sein eigenes Land nicht mehr wieder, das man immer für eine grundsolide Demokratie gehalten hat.

Und natürlich macht man sich nun Gedanken, ob man nicht besser auswandern sollte, bevor solche Kräfte hier womöglich noch die Macht ergreifen. Aber das geht gar nicht so einfach mit all dem Grundbesitz. Man ist ja damit schließlich immobil. Und wo sollte man denn auch hin? Die Rechtsradikalen sind ja inzwischen fast überall auf dem Vormarsch und können auch ganz schnell woanders ans Ruder kommen. Und ist es im Hinblick darauf nicht sogar schon gefährlich geworden, seine Meinung im Netz kundzutun? Das Internet vergisst ja nichts. Wenn hier demnächst die sogenannten patriotischen Kräfte das Sagen haben sollten (die in Wirklichkeit vielmehr Trump- und Putinknechte sind), dann würden sie gewiss als erstes alle Medien gleichschalten und den Rechtsstaat abbauen wie in Ungarn und dann Jagd auf Ausländer machen wie in den USA. Dann wollen sie meine koreanische Frau und unsere internationalen Freunde deportieren. Und wer sich ihnen entgegenstellt, der wird z.B. von allen amerikanischen Plattformen ausgeschlossen wie jetzt die Richter vom Internationalen Strafgerichtshof. Wenn man nicht gleich wegen unpatriotischer Umtriebe verhaftet oder vom russischen Geheimdienst vergiftet oder aus dem Fenster geschubst wird. Wie gut, denkt man dann, dass man nicht prominent und nur ein ganz kleines Licht ist, und wahrscheinlich ja den mutmaßlichen neuen Machthabern nicht unbedingt auffallen würde. Aber weiß man’s?

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Dez. 8th, 2025 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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