Psychiatrie in Geschichte und rechtlicher Gegenwart

Der Kölner Psychiatrie-Verlag legt zwei Bände zum Studium der Psychiatrie vor

Matthias Wiemers

Zunächst einmal ist vorzustellen eine „Kurze Geschichte der Psychiatrie“ aus der Feder von Burkhart Brückner, Professor an der Hochschule Niederrhein. Brückner spürt zunächst Wurzeln im Altertum auf, indem er beginnend im antiken Griechenland die „Natur und Kultur des Wahnsinns“ darstellt und sodann kurz die römische Medizin und Ostasiatische Traditionen aus China und Japan zeigt. Es folgt die Darstellung der Zeit des Mittelalters mit der Überschrift „Die Krankheiten des Kopfes“. Hier wurde das Leiden zunächst als göttliche Prüfung geschildert, aber etwa auch die Rolle der Kirchenväter und Mystiker, die während des gesamten Mittelalters mit „Visionen, Dämonen und Phantasmen“ umgingen. Das Kapitel über „Die Renaissance – Melancholie im Hospital“ zeigt neben der damals entwickelten Krankheitslehre und einer Melancholietheorie auch das besonders in dieser Zeit stattfindende Phänomen der Hexenverfolgung, das Bezüge zu psychischen Leiden aufwies. Der Autor macht hier auch einen Ausflug in die indigene und koloniale Medizin in Mexiko.

Im Kapitel über Absolutismus und Aufklärung wird zunächst vom „Aufstieg der Nervenkrankheiten“ berichtet. Nachdem am Schluss des Kapitels noch eine Bilanz am Vorabend der modernen Psychiatrie gezogen wird, wird ein Blick nach Japan geworfen. Das Kapitel über das 19. Jahrhundert ist überschrieben mit den Stichworten „Sicherung, Heilung und Forschung“. Darin enthalten sind Abschnitte über die Anfänge der Anstaltspsychiatrie und über „Anstaltsbehandlung in Europa“. Die Sicherung stand noch im Vordergrund, aber es wird bereits ausgiebig geforscht. Es werden auch erste Patientenbewegungen dargestellt, die Ende des 19. Jahrhunderts gegen erlittene Qualen als Anstaltsinsassen protestierten, und sodann auch gesetzliche Regelungen des Unterbringungsrechts. Das Kapitel über das 20. Jahrhundert ist überschrieben mit „von der Anstaltspsychiatrie zur Gemeindepsychiatrie“ und schildert die Entwicklung von Forschung und Praxis in Demokratie und Diktatur sowie auch international. Es endet mit der Darstellung der Psychiatrie-Enquete der 970er Jahre und der darauffolgenden Psychiatrie-Reform. Das nach immer umfangreicheren Kapiteln wieder kurze letzte Kapitel zeigt die Facetten des Themas in der Gegenwart auf – von den partizipatorischen Ansätzen über psychosomatische Medizin und Psychotherapie, die Rolle von Soziologie und Sozialwissenschaften bis hin zu Neuropsychiatrie und Neurophilosophie.

Dem Autor gelingt in gut lesbarer Weise, ein sehr komplexes Thema, das nur als multidisziplinär bezeichnet werden kann, in seiner historischen Entwicklung darzustellen. Wer mehr wissen will, kann u. a, die weiteren Werke des Autors zu Rate ziehen.

Rolf Marschner und Dagmar Brosey, der Eine spezialisierter Rechtsanwalt und Dozent an der Hochschule München und die Andere Professorin für Zivilrecht an der TH Köln, stellen in gleichem Umfang die rechtlichen Grundlagen psychiatrischer Arbeit dar. Dies war notwendig wegen zahlreicher Rechtsänderungen in der letzten Zeit. Im Fokus der Autoren standen nach der Selbstauskunft im Vorwort vor allem die Fragstellungen, die sich in der täglichen Berufspraxis der unterschiedlichen Berufsfelder ergeben können, und die Darstellung umfasst den gesamten ambulanten und stationären Bereich. Die im Vorwort erwähnten Handlungsfelder werden im ersten Kapitel („Handlungsfelder und berufsrechtliche Grundlagen“) aufgelöst. Als Berufsgruppen werden Ärzte, Pflegefachpersonen, Psychologen, Therapeuten aus den Bereichen Ergotherapie, Kunsttherapie, Bewegungs- und Physiotherapie, sowie Sozialarbeiter und Sozialpädagogen angesprochen. Weitere Berufe werden ergänzend genannt. Es folgt sodann eine knappe Darstellung des einschlägigen Berufsrechts, und zwar in der Form, dass die Gesetze benannt und hinsichtlich ihres wesentlichen Inhalts kurz skizziert werden. Für die Soziale Arbeit wird ein Fehlen einschlägiger berufsrechtlicher Regelungen konstatiert und darauf verwiesen, dass nicht alle Studiengänge entsprechende Inhalte vermitteln. Unter der Überschrift „Fachliche Standards“ werden zunächst Inhalte der Musterberufsordnung für Ärzte dargestellt und sodann pauschal auf weitere einschlägige Gesetze verwiesen, die zum Teil nicht einmal benannt werden. Damit kann man m. E. wenig anfangen

Im zweiten Kapitel werden die psychische Erkrankung und die seelische Behinderung als Gegenstand gesetzlicher Vorschriften dargestellt. Auch dieses Kapitel muss als zu oberflächlich bezeichnet werden. Es hätte mindestens anhand eines konkreten Beispiels gezeigt werden sollen, wie das Vorliegen eines entsprechenden Zustands nach einer gesetzlichen Vorschrift bestimmt wird. Überzeugend ist das dritte Kapitel, in dem an „Teilhabe und Selbstbestimmung“ systematisch herangeführt wird, gekrönt von einem – freilich übernommenen – Schema über Selbstbestimmung in der Psychiatrie und die Möglichkeiten von Vorsorgen in Form eines Prüfprogramms, das auch gesetzliche Vorschriften enthält. Kapitel vier ist der „Teilnahme am Rechtsleben“ gewidmet, also der Frage, in welchen Rechtsbereichen u. U. eine Handlungsfähigkeit psychisch Kranker nicht mehr gegeben ist.

Kapitel 5 behandelt „Behandlung, Betreuung und Assistenz“, also zunächst Fragen, die sich um die Durchführung medizinischer Behandlungsmaßnahmen drehen, bevor Möglichkeiten der Assistenz nach dem Bundesteilhabegesetz sowie der sozialen Betreuung erläutert werden.

„Der Umgang mit Informationen“ in Kapitel 6 meint in erster Linie Fragen der informationellen Selbstbestimmung, der ärztlichen Schweigepflicht, dem Privatgeheimnisschutz nach § 203 StGB, dem Datenschutz und der Einsichtnahmerechte in ärztliche Dokumentationen.

Sodann führt der Weg in das Sozialrecht. Zunächst werden „Grundbegriffe und Grundsätze des Sozialrechts“ (7) präsentiert, dann die „Existenzsicherung psychisch erkrankter Menschen“ erläutert (8). „Sozialrechtliche Grundlagen der psychiatrischen Versorgung“ (9) zeigt die entsprechenden Rechtsgrundlagen im SGB V auf. Kapitel 10 zeigt „Grundzüge des Rehabilitationsrechts“ auf, wobei nicht nur Ansprüche nach dem SGB IX aufgezeigt werden, sondern auch das Verhältnis zum SGB V berücksichtigt wird. Die „Leistungen bei Pflegebedürftigkeit“ wurden sinnigerweise im elften Kapitel untergebracht. „Der Umgang mit psychischen Krisen“ (12) umfasst die Notfallversorgung und Krisenintervention und beinhaltet u. a. auch die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Polizei sowie dann die Fragen der Unterbringung nach den PsychKHG der Länder sowie der Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

In Kapitel 14 erfolgt dann endlich die Behandlung der rechtlichen Betreuung von Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen. Knapp behandelt wird sodann das Problem der „Straftaten psychisch kranker Menschen“, wo ausgehend von Schuldfragen auch Unterbringungsmöglichkeiten in psychiatrischen Krankenhäusern und der Maßregelvollzug erläutert werden. Kapitel 16 zeigt Haftungsfragen psychiatrisch Tätiger auf. Da hier nicht nur das Zivilrecht, sondern auch das Strafrecht angesprochen wird, hätte insoweit besser von „Verantwortung“ gesprochen werden sollen. Der Band schließt mit einem knappen Kapitel über „Wege zum Recht“, worin Stellen zur Unterstützung und Interessenvertretung psychisch erkrankter Personen vorgestellt werden, die teilweise auch gesetzlich vorgesehen sind. Jedes einzelne Kapitel endet mit mehreren Widerholungsfragen und zeigt Vertiefungsmöglichkeiten im Internet und/oder Literatur auf, und in einem Anhang werden nochmals Internetadressen, Fachzeitschriften und weiterführende Literatur aufgezeigt.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass der Band wohl eine bestehende Lücke in der Literatur schließt, aber hier und dort noch einiger Ergänzungen und Klarstellungen bedarf. Eine Neubearbeitung dürfte aber auch künftig mit weniger als 250 Seiten auskommen.

Burkhart Brückner
Kurze Geschichte der Psychiatrie
utb Verlag, 1. Auflage 2023
192 Seiten: 30,00 Euro
ISBN: 978-3-8252-6053-8

Marschner / Brosey
Rechtliche Grundlagen psychiatrischer Arbeit
utb Verlag, 1. Auflage 2022
208 Seiten; 25,00 Euro
ISBN 978-3-8252-5846-7

 

Veröffentlicht von on Jul. 17th, 2023 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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