Richterschelte

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch.

an den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gibt es nichts zu kritisieren. Die sind, wie sie sind, und jeder hat sie gefälligst zu respektieren. Ansonsten würde unser Rechtsstaat auf die schiefe Bahn geraten. Aber im Schutze der Anonymität dieser Kolumne wage ich nun ganz ausnahmsweise doch einmal das Undenkbare und meckere über unsere Verfassungsrichter. Mit ihrem kleinlichen, ja kleinkarierten Urteil über die in ihren Augen verfassungswidrige Umwidmung der nicht aufgebrauchten Corona-Hilfen zu Rücklagen für den Klimaschutz haben sie unserem Gemeinwesen nämlich einen Bärendienst erwiesen. Und mir soll niemand erzählen, sie hätten es nicht anders entscheiden können. Kaum jemand von den Verfassungsrechts-Experten hatte mit einem solchen Richterspruch gerechnet, zumal unsere höchsten Richter zuvor auch alle Corona-Hilfsfonds durchgewunken hatten, die mit kaum weniger heißer Nadel gestrickt und in ihrer verfassungsrechtlichen Herleitung zweifellos genauso angreifbar gewesen sind. Aber damals hatten die Richter zutreffenderweise erkannt, dass sich unser Staat durch die Pandemie in einer Notlage befunden hat und es fatal gewesen wäre, wenn sie den Regierenden bei deren Bewältigung Knüppel zwischen die Beine geworfen hätten.

Doch haben die Richter nun offenbar die Augen davor verschlossen, dass wir uns auch nach dem Ende von Corona noch immer – oder erneut, wenn man es so sehen will – in einer Ausnahmesituation befinden: Ukraine-Krieg, Energie-Krise, Zeitenwende, mehr Geld fürs Militär, Wirtschaftskrise durch gestörte Lieferketten, hohe Inflation, verbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung, eine gesichert rechtsextremistische Protestpartei klopft an die Türen zur Macht… Das Letzte, was wir in einer solchen Lage gebrauchen konnten, war ein plötzliches Finanzloch von 60 Milliarden Euro. Die Folgen lassen sich nun besichtigen. Jede Bevölkerungsgruppe, der man durch die nunmehr erforderlichen Einsparmaßnahmen etwas von ihren Privilegien wegnehmen will/muss, geht auf die Barrikaden. Vor allem tun das die Bauern, die mit ihren riesigen Traktoren und Erntefahrzeugen fortwährend unsere Hauptstadt belagern. Das hätte mit etwas mehr gesamtgesellschaftlichem Problembewusstsein und Verantwortungsgefühl bei den Richtern alles nicht sein müssen. Auch dass die AfD bei den drei Landtagswahlen im Herbst wahrscheinlich zur stärksten Kraft aufsteigen wird, hätte sich eventuell noch vermeiden lassen…

Um es mit Max Weber zu sagen, der ja eigentlich auch ein gelernter Jurist war: Die formalen Gründe unserer Verfassungsrichter für ihr Urteil sind allein bei gesinnungsethischer Betrachtung in Ordnung, verantwortungsethisch gesehen sind sie es nicht. Ach so, das sind unzulässige Maßstäbe für Verfassungsrichter? Denn schließlich sind sie ja allein zur korrekten Rechtsanwendung verpflichtet? Na wenn schon… Besser mal einen Kategorienfehler begehen, als am Ende in einem autoritären System wieder aufzuwachen. Toi, toi, toi, dass dieser Kelch an uns vorbeigehen wird…

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Jan 22nd, 2024 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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