Scheiben Spezial: Natacha Atlas zum Sechzigsten
Thomas Claer
Zuerst war es nur ein Plattencover, das mich magisch angezogen hat. Damals in den Neunzigern, während meiner Studienzeit in Bielefeld. Es stand wohl für längere Zeit in der Kiste mit den Neuerscheinungen nahe dem Eingang meines favorisierten Schallplattenladens „Ween“ am Jahnplatz. Immer, wenn ich diesen Laden aufsuchte, und das kam zu jener Zeit nicht selten vor, durchblätterte ich als erstes diese Kiste. Und immer blieb ich dann hängen an einer bunten LP namens „Diaspora“ der belgisch-arabischen Sängerin Natacha Atlas, die auf der Coverabbildung im Stil der Königin Cleopatra posierte – in einem ägyptischen Palast, umgeben von allerlei Säulen mit geheimnisvollen Hyroglyphen-Zeichen, in einem langen blauen Gewand auf einem roten Sofa liegend. Als ich dann irgendwann später auch noch im Musikfernsehen (denn mit dem Internet war es seinerzeit noch nicht so weit her) auf ein Video stieß, in dem ebenjene Natacha Atlas zu orientalischen Klängen mit dezenten elektronischen Einsprengseln kunstvoll den Bauchtanz zelebrierte, war es endgültig um mich geschehen. Von nun an machte ich Jagd auf die Tonträger dieser kurvenreichen morgenländischen Schönheit. Ihre ersten vier CDs konnte ich kostengünstig im Second-Hand-Shop in der Jahnplatz-Passage erstehen, womit mein Begehren fürs Erste gestillt war. Die Musik war schon sehr speziell, sehr traditionell arabisch. Und ich beschloss, diese vier Alben in Ehren zu halten, meiner Sammlung aber keine weiteren von dieser Art mehr hinzuzufügen.
Dabei blieb es für lange Zeit, und so verlor ich Natacha Atlas allmählich aus den Augen. Doch dann, mehr als zwei Jahrzehnte später, konnte ich endlich wieder mehr Muße für meine musikalischen Leidenschaften finden – und kam noch einmal auf Natacha Atlas zurück. Eine große Zahl an Veröffentlichungen, so stellte ich fest, hatte sie über die Jahre herausgebracht und sich dabei in ganz unterschiedliche Genres vorgewagt: mehr und mehr weg vom temperamentvollen Ethno-Pop, hin zu meditativ-spirituellen Klängen, zu traditionellen Gesängen und schließlich, in den letzten Jahren, auch zunehmend zum Jazz. Ich fand das ganz großartig und wollte nun alles, aber wirklich alles!, von ihr haben. Und was soll ich sagen? Dank Medimops, Rebuy und Co. bekam ich es sogar noch zum kleinen Preis. Nicht weniger als 15 CDs, einschließlich Remix-, Best of- und Raritäten-Album, habe ich mittlerweile von ihr angehäuft. Und jede von ihnen bereitet mir auf ganz eigene Art Vergnügen. Am Donnerstag letzter Woche ist die verführerischste Stimme des arabischen Folk-Pop nun 60 Jahre jung geworden.