Die Juristin Jackelin Ludeña Martínez muss als Pressesprecherin die Philosophie der peruanischen Entwicklungsbank „Banco de la Nación“ verkaufen
Benedikt Vallendar
Lima / Pangoa – Hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes braucht die peruanische Banco de la Nación (BN) den Vergleich mit europäischen und US-amerikanischen Banken nicht zu scheuen. In einem schicken Hochausgebäude mit klimatisierten Büros im Limaer Stadtteil San Isidro residiert Perus 1966 gegründete staatliche Bank, nicht zu verwechseln mit der Nationalbank, die über die Währung des Landes wacht. Ursprünglich als reiner Devisenbeschaffer der Regierung ins Leben gerufen, sind die Aufgaben der Bank heute vielfältiger geworden „Banco de todos“, die Bank für alle, so lautet ihr Geschäftsmotto. Die Bank versteht sich als pekuniäres Bindeglied zwischen Regierung, Unternehmen und der Bevölkerung. Indes, an mittelständischer Bodenständigkeit wie in den Innenräumen einer deutschen Sparkasse, mangelt es allenthalben. Schwarzer Granit, Edelstahl, getönte Fenster und viel Glas bestimmen das Intérieur im Eingangsbereich an der Avenida República de Panamá Hausnummer 3664 in Lima. Der Besucher wähnt sich in einer Großbank in Manhattan oder London. Lautlos geht es im Fahrstuhl in den 15. Stock nach oben, wo die PR-Abteilung der Banco de la Nación in Großraumbüros untergebracht ist. Viel Grün, die neuesten PC-Programme auf den Desktops und dezente Hintergrundmusik verbreiten Wohlfühlstimmung der besonderen Art. „Hier wurde kürzlich saniert“, sagt Pressesprecherin Jackelin Ludeña Martínez (29). Stolz führt die Abteilungsleiterin, Tochter eines Limaer Großgastronomen und Jura-Absolventin der San Marcos-Universität, der ältesten Hochschule der Neuen Welt, durch die hellen und modern eingerichteten Büroräume und das erst jüngst eingerichtete Konferenzzentrum, von wo aus die Banker per Videoschaltung mit Häusern in Übersee verbunden sind. Jeden Morgen ab zehn Uhr haben sie dort ihre Meetings und tauschen sich über beide Ozeane hinweg mit Banken in Europa, den USA und Asien aus. In Lateinamerika ist die peruanische Banco de la Nación ein kleiner, aber dennoch nicht mehr weg zu denkender Partner innerhalb des länderübergreifenden Bankennetzwerkes geworden. Das Geld für den Ausbau der Bankzentrale in Lima und den Ausbau des Filialnetzes in ganz Peru stammt zum Teil aus chinesischen Krediten. China sucht seit geraumer Zeit rund um den Globus Möglichkeiten, seine üppigen Währungsüberschüsse möglichst gewinnträchtig anzulegen und, ganz nebenbei, Politik zu machen. Im Rechenschaftsbericht der BN für 2009 prangt der Vorstandsvorsitzende Humberto Meneses Arancibia großformatig zusammen mit dem amtierenden peruanischen Staatspräsidenten Alan García Pérez und Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao auf einer Doppelseite.
Soziale Aufgaben
Doch das internationale Geschäft ist nur eine Sparte der BN. Das Kerngeschäft bildet die Förderung der regionalen Entwicklung des Landes und der Aufbau eines modernen Bankenwesens, das eines Tages, so der Plan, „ganz Peru“ umfassen soll. Daneben verfolgt die Bank soziale Ziele. Und dafür macht sie eifrig Werbung, im peruanischen Fernsehen, in Radiospots und natürlich in hauseigenen Broschüren und Flyern. Sie stattet, nach eigenen Angaben, Schulen mit Computern aus, eröffnet kundennahe Filialen in ländlichen Gegenden und erteilt bereits in Kindergärten IT-Unterricht. „Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, jedem Bürger unseres Landes den zeitgemäßen Zugang zu Bargeld und Überweisungen zu ermöglichen“, sagt PR-Frau Ludeña Martínez. Doch genau dort fängt das Problem an. Bislang fehlt dem Land eine stabile sozioökonomische Basis, die nötig wäre, um dem Land die ersehnte Modernisierung seines Bankenwesens zu ermöglichen. Ein Drittel der knapp 29 Millionen Peruaner konzentriert sich auf den Großraum Lima, der fast täglich durch Zuwanderer aus allen Landesteilen weiter anschwillt. Die übrige Bevölkerung verteilt sich auf die schwer zugänglichen Urwaldregionen im Norden und Nordosten des Landes sowie auf das Andenhochland im Süden. Die Menschen leben dort noch vielfach wie zur spanischen Kolonialzeit in der Frühen Neuzeit, in Bretterhütten, einem kleinen Garten und Nutztieren direkt vor der Haustür. Aus diesem Paradies machen sich fast täglich, vor allem junge Menschen, auf den Weg in die Region Lima. Deren Glitzerwelt, die fast täglich über die Fernsehäther in die letzten Winkel des Landes ausgestrahlt wird, zieht an.
Großraum Lima als Anziehungspunkt
Doch die jungen Leute müssen sich erst mühsam das erarbeiten, wovon die BN in ihrer Werbung vollmundig ausgeht: Ein Gehalt von dem sich leben lässt. In den meisten Fällen bleibt das eine Wunschvorstellung. Fast zwei Drittel der Peruaner verdient sich sein Geld durch Jobs „von der Hand in den Mund“, und in den Genuss einer staatlichen Rente, von der sich tatsächlich leben lässt, kommen nur wenige. Die meisten sind gezwungen, zu arbeiten, bis sie buchstäblich tot umfallen. Zum Sparen und Investieren fehlt den meisten Bürgern das Geld. Hinzu kommt das mangelnde Vertrauen in die heimische Währung Sol. Zu präsent sind noch an die Erinnerungen an die späten Achtzigerjahre, als die Hyperinflation mehrere zehntausend Prozent betrug. Bezeichnenderweise heißt die gegenwärtige Währung Perus „Nuevo Sol“, neuer Sol, womit seit 1999 ein Neuanfang in der staatlichen Geldpolitik manifestiert werden soll. „Zumeist sind es Armutsflüchtlinge, die in den weit entlegenen Urwaldregionen des Landes keine Perspektive für sich und ihre Familien sahen und in der Großstadt auf Jobs, bessere Schulausbildung für die Kinder und insgesamt ein besseres Leben hofften“, sagt Michael Lingenthal (52), Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Lima. In den meisten Fällen zerschlägt sich die Hoffnung, was sich an den endlosen Elendshütten in den Stadtbezirken Lurigancho, Chaclacayo und Cieneguilla am Stadtrand von Lima ablesen lässt. Wie Krebsgeschwüre ziehen sich die Slums durch den Großraum Lima bis hinunter zu der am Pazifik gelegenen Hafenstadt Callao. Es sind von Armut, Drogenkonsum und hoher Kriminalität gebeutelte Orte. Wer die schöne, gepflegte Welt des Stadtteils San Isidro verlässt, der wird spätestens nach zehn Kilometern Taxifahrt mit einer gänzlich anderen Realität konfrontiert. Böse Zungen behaupten gar, dass die Politik ihr Handeln auf die wenigen, ihr genehme Viertel beschränke und den Rest des Landes dem Verfall preisgegeben hat. Immer dann, wenn Wahlkampf ist, werden in Peru massenweise kleine Wohltaten, wie Gutscheine für das Fußballstadion, eine kostenlose Zahnbehandlung oder Miniradios mit dem Emblem der einen oder anderen Partei verteilt, und schon ist der Wahlsieg und damit die Macht für eine Legislaturperiode gesichert.
Sozioökonomische Basis fragil
Mehr als 500 Nichtregierungsorganisationen, darunter kirchliche Hilfswerke und katholische Ordensgemeinschaften aus Europa und den USA sind bemüht, die schlimmsten Auswüchse des sozialen Wildwuchses in Lima durch Suppenküchen, Kinderhorte und Beratungszentren für die Armen zu begrenzen. „Im Grunde ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt die aus Westfalen stammende Ordensschwester Maria van der Linde MSC (68), die seit mehr als vierzig Jahren in Peru lebt und arbeitet. Nicht viel besser sieht es im übrigen Land aus. „Paradiesisch sind in Peru allenfalls die Landschaft und seine Menschen“, sagt van der Linde. Noch immer ist das Land stark unterentwickelt, nur zehn Prozent der befahrbaren Straßen sind asphaltiert und vor allem in Urwaldstädten wie Pebas und Puerto Alfonso im Nordosten mangelt es häufig an Trinkwasser.
Doch davon, so scheint es, lässt sich die Geschäftsleitung der BN in der fernen Hauptstadt nicht beirren. „Wir wollen eine Bank für alle sein“, bringt Ludeña Martínez das Geschäftsmotto ihres Arbeitgebers auf den Punkt. Neuerdings vergibt die Banco de la Nación auch Kleinkredite ab 500 Euro an jene, die sich mit ihrem kleinen Geschäft, zumeist als Händler oder Dienstleister selbstständig gemacht haben. Allerdings veröffentlicht die Bank dazu keine Zahlen, so dass bislang im Dunkeln bleibt, wie viele Bürger das Angebot seit 2006 tatsächlich in Anspruch angenommen haben. Der Grund dürfte die tatsächliche Größe des informellen Sektors in Peru sein. Nach Angaben der renommierten Wirtschaftszeitung „Gestión“ sind allein von zehn Taxis im Großraum Lima acht nicht angemeldet. Ähnlich sieht es nach Angaben der Zeitung in anderen Bereichen des peruanischen Wirtschaftslebens aus. Doch ohne gültige Papiere gibt es auch kein Geld von der Bank. In Hochglanzbroschüren der BN prangen Überschriften wie „Die Bank, die das Leben der Peruaner begleitet“ oder „Wir vereinen alle Peruaner“. Unter dem wohl klingenden Marketingslogan „Multi red móvil“ (zu Deutsch „die vernetzte Bank“) geht die BN in Peru seit 2008 landesweit auf Kundenfang, mit dem Ziel, jedem Peruaner Zugang zum elektronischen Zahlungsverkehr mit Scheck- oder Kreditkarte zu ermöglichen. In bunten Hochglanzbroschüren halten traditionell gekleidete Quechua-Indianer vor den Ruinen der Inkastadt Machu Picchu eine Visakarte mit dem Emblem der Banco de la Nación in die Kamera, wodurch der Eindruck von Fortschritt und Modernität für die gesamte peruanische Gesellschaft entstehen soll. Doch die Wirklichkeit in Peru sieht anders aus. „Rund 70 Prozent der Peruaner lebt knapp über oder unter der Armutsschwelle“, sagt Michael Lindenthal. Nur wenige haben ein reguläres Einkommen, ein Konto mit regelmäßigem Geldeingang, alles Grundvoraussetzungen, um sich eine Kreditkarte leisten zu können.
Indes ist das Geschäftsgebaren für die BN mehr als reine Werbung. „Dahinter steht die Vorstellung, als Geldhaus die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung des Landes voranbringen zu können“, sagt Lindenthal. Denn noch immer leidet Peru unter einem starken Stadt-Landgefälle, was die Wirtschaftsleistung anbetrifft, und extremen Gegensätzen zwischen einer verarmten Bevölkerungsmehrheit und einer relativ wohlhabenden Mittel- und Oberschicht, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung etwa fünf bis zehn Prozent beträgt. Zwar ist die peruanische Wirtschaft seit 2005 im Schnitt um sieben Prozent pro Jahr gewachsen, doch reduziert sich das Wachstum vornehmlich auf den Großraum Lima und ist nicht zuletzt eine Folge der stark gestiegenen Rohstoffpreise in diesem Zeitraum. Kleine Handwerksbetriebe, Händler und alle, die sich nach europäischem Maßstab zum „Mittelstand“ zählen lassen, konnten davon nur wenig profitieren. Denn im gleichen Zeitraum sind in Peru auch die Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen jedweder Art, wie etwa medizinische Behandlungen, überdurchschnittlich gestiegen.
Von den landesweit 418 Filialen und Büros der Banco de la Nación befinden sich nach Bankangaben 80 Prozent außerhalb Limas. Tatsächlich gibt es kaum eine Kleinstadt in Peru, in der die Banco de la Nación nicht zumindest auf Plakaten oder anderweitig präsent ist. Etwa in der 20.000 – Einwohnerstadt Pangoa, rund 600 Kilometer südöstlich von Lima, wo sich im Zentrum eine kleine Filiale der BN befindet, die von einem Angestellten und einer Halbtagskraft betrieben wird. Doch was auffällt: Auch zur Hauptgeschäftszeit wird der Geldautomat wenig genutzt. Kaum einer der Passanten oder Kleinhändler, zumeist Indios aus dem Hochland, besitzt, im Gegensatz zu den markigen Werbesprüchen der Bank, eine Kundenkarte der Banco de la Nacíon. Ganz zu schweigen von einer Kreditkarte. „Das Land muss zunächst seine sozialen Probleme in den Griff bekommen“, sagt Lindenthal. Insignien des Wohlstands, wie Geldautomaten, Kreditkarten und schrille Internetaufritte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Peru, die einstige spanische Kolonie im Range eines Vizekönigreichs noch immer ein Entwicklungsland ist.
Informationen: www.bn.com.pe