Egon im Wunderland

In drei Bänden hat der kurzzeitige SED-Generalsekretär Egon Krenz sein Leben aufgeschrieben – leider weitgehend vorbei an jenen, die in seinem Staat leben mussten

Benedikt Vallendar

Wodurch die SED-Herrschaft legitimiert war? Mehrere Versuche, Egon Krenz, letztem SED-Generalsekretär und DDR-Staatsratsvorsitzenden dazu eine Antwort zu entlocken, liefen ins Leere. Er konnte oder wollte die Frage nicht beantworten. Auch Ilona Pfeffer, die freundliche Pressesprecherin des editon ost Verlages in Berlin, über den Krenz seit Jahren seine Bücher vertreibt, sah sich zu keiner Stellungnahme veranlasst. Das Problem: In Krenz‘ jüngst erschienener Biografie findet sich dazu wenig bis gar nichts; allenfalls ein bisserl Bedauern über das „Leid“, das die die Spaltung Deutschlands über „die Menschen“ gebracht habe; gepaart mit dem Hinweis, dass die DDR von Sowjetführer Michail Gorbatschow verraten wurde und er, Krenz den Kontakt zu westlichen Journalisten meide, da die ihn ja eh nur „falsch verstehen“ würden. Das war`s.

Doch vielleicht ist es auch naiv, auf die Frage nach der Machtlegitimation im SED-Staat tatsächlich eine Antwort zu erwarten von einem, der über Jahrzehnte die Geschicke der roten Diktatur im Osten mitbestimmt hat. Dass die Macht der Partei allein auf Gewalt und Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, allen voran Christen und Pazifisten basierte, wird heute selbst von Vertretern der Nachfolgepartei DIE LINKE nicht infrage gestellt, allen persönlichen Sympathien für Krenz dort zum Trotz.

PR für eine Diktatur

Immerhin: Egon Krenz, examinierter Grundschullehrer ohne Abitur und vorbestraft wegen Totschlags in „mittelbarer Täterschaft“ hat sich Mühe gegeben, sein Leben in drei dicken Bänden auf Hunderten Seiten mit Bildern zu Papier zu bringen. Doch leider ist das Ergebnis eher dürftig, sind die Annalen des Egon Krenz doch nur eine dröge Nacherzählung dessen, was man schon andernorts gelesen hat; weit entfernt von kritischer Analyse, spannenden Details oder neuen Einblicken in die Machtstrukturen im SED-Apparat, wie es die Buchdeckel vollmundig versprechen. Von „Aufbruch“, „Gestaltung“ und „Veränderung“ ist dort die Rede, was vor allem PR-Zwecken gedient haben dürfte. Denn weder wurde in 40 Jahren DDR Maßgebliches verändert noch gestaltet oder aufgebrochen; blieb es doch bis zum Schluss beim unbegrenzten Machtanspruch der SED und ihrer Staatssicherheit, die sich selbstredend als „Schild und Schwert“ der Partei verstand.

Marxismus und Religion

Schon nach wenigen Seiten Lektüre wird deutlich, dass hier ein kommunistischer Kurzzeitdiktator sein Lebenswerk zu retten bemüht ist, dieses aufbläht und schönredet. Und dabei auch vereinzelt religiöses Halbwissen einstreut, wohl um sein Image als Menschenfreund zu pflegen, ganz sicher aber, um die vermeintliche Nähe zwischen Christentum und Marxismus rhetorisch zu kultivieren. Krenz zeichnet in seiner Biografie ein aus Versatzstücken zusammengeklaubtes Geschichtsbild zur DDR, das stark an die Erzählung aus Alice im Wunderland erinnert, wo es bekanntlich auch um Traumwelten weitab der Wirklichkeit geht. Denn die Menschen, die im SED-Staat ausharren mussten wie Internierte hinter Mauer und Stacheldraht, ihre Not und Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung bleiben in den drei Bänden selbstbeweihräuchernd unter den Teppich gekehrt; so als hätte es sie nie gegeben und die SED nur für sich selbst regiert. Eher eignet sich Krenz‘ Biografie für eine ideengeschichtliche Märchenstunde, in der die SED-Diktatur doch bitteschön als gut gemeinte aber leider gescheiterte Menschheitsbeglückungsmaschinerie in Erinnerung behalten werden möge.

Nostalgie und „Helden der Arbeit“

Was auffällt: Krenz‘ Aufzeichnungen lesen sich erstaunlich flüssig und leichtfüßig, sind weit entfernt von jenem Funktionärssprech, mit dem die gleich geschalteten DDR-Medien einst ihre Leser genervt haben. Doch der Eindruck täuscht auch hier. Denn schon nach wenigen Kapiteln weicht die Unterhaltung der Erkenntnis, dass es in der SED zugegangen sein muss wie in einem Karnevalsverein, wo Funktionäre für Festaufmärsche und gute Presse sorgen, auch wenn letztere in der DDR oft nur das Ergebnis manipulierter Zahlen war; was dann obendrein noch mit Orden und Auszeichnungen belohnt wurde, woran sich der heute 87-Jährige Krenz nostalgisch zurückerinnert. Und dabei ein DDR-Bild zeichnet, dass in seiner Lesart auf die frühere Protokollstrecke zwischen der Funktionärssiedlung Wandlitz und dem ZK-Gebäude in Ost-Berlin begrenzt zu sein schien; gepflastert mit „guten Freunden“, Genossen, „Helden der Arbeit“ und Reisen ins kapitalistische Ausland; zudem Besuchen ausländischer Delegationen aus Kuba und Nicaragua, zu denen Krenz ein besonders enges Verhältnis gehabt zu haben schien. Denn da das Heute in Diktaturen schon Morgen zu Ende sein kann, waren Auslandskontakte im SED-Staat stets auch eine Art Lebensversicherung für den Tag X, wie Krenz‘ gestürzter Vorgänger Erich Honecker mit seiner Flucht nach Russland und Chile im Jahre 1991 eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.

Veröffentlicht von on Nov 4th, 2024 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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