Der Zerrissene
Die Ausstellung „Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie“ in Lübeck
Thomas Claer
Da hat man es also im zweiten Anlauf doch noch in die Ausstellung über „Thomas Mann und die Demokratie“ in Lübeck geschafft, die natürlich Pflichtprogramm für jeden Interessierten ist – im hundertfünfzigsten Geburts- und zugleich siebzigsten Todesjahr des Großliteraten. Zwar bleibt es auch weiterhin eine offene Frage, ob prominente Schriftsteller in Fragen der politischen Urteilskraft wirklich bewanderter sind und mehr zu sagen haben als andere Zeitgenossen. Doch da Thomas Manns zeitlebens vielfach getätigte politische Äußerungen nun einmal in der Welt sind, sie auch in zunehmendem Maße Beachtung gefunden haben und noch dazu punktuell eine bemerkenswerte Divergenz zueinander aufweisen, sind sie zweifellos ein dankbares Thema für eine klug kuratierte Ausstellung wie diese.
Auf den ersten Blick nämlich hat Thomas Mann, was sein politisches Weltbild angeht, eine spektakuläre Wandlung durchlaufen: als erzkonservativ-reaktionärer Demokratieverächter im wilhelminischen Kaiserreich gestartet und als leidenschaftlicher Kämpfer für die westliche Demokratie geendet, der in seinen letzten Lebensjahren sogar wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe – es war die berüchtigte McCarthy-Ära – sein zur Wahlheimat gewordenenes Exil in den USA verlassen musste. Die Geschichte dieser erstaunlichen Metamorphose erzählt die Lübecker Schau in nur sechs nicht übermäßig großen Räumen, aber mit einer Menge gut aufbereitetem Bild- und Tonmaterial sowie zahlreichen erhellenden Texttafeln.
Blickt man allerdings genauer hinter die Kulissen, so bekommt das Bild vom letztendlich grandios geläuterten Demokratiefreund dann doch einige Risse. Denn der nobelpreisdekorierte Weltliterat erweist sich über die Jahre vor allem als beständig unsicherer Kantonist. Durchzogen von leisem Zweifel, von fortwährendem Einerseits und Andererseits, waren schon seine frühen Texte, und dies blieb dann auch später so, bis zu seinen epochalen Radio-Ansprachen für die BBC: „Es fragt sich, ob der Mensch um seiner seelischen und metaphysischen Geborgenheit willen nicht lieber den Schrecken will als die Freiheit.“ Genau das fragt man sich heute auch manchmal wieder…
Die Ausstellung unterteilt Thomas Manns Leben hinsichtlch seiner politischen Bekenntnisse in drei grundverschiedene aufeinanderfolgende Abschnitte: Deren erster reichte ziemlich genau bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Da war Thomas Mann bereits 43 Jahre alt, hatte gerade seine berüchtigten „Betrachtungen eines Unpolitischen“ verfasst und formulierte darüber hinaus die folgenden hochproblematischen Verlautbarungen: „Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheure Hoffnung.“ „Sind es nicht völlig gleichnishafte Beziehungen, welche Kunst und Krieg miteinander verbinden? Mir jedenfalls schien von jeher, dass es der schlechteste Künstler nicht sei, der sich im Bilde des Soldaten wiedererkenne.“ „Wem Freiheit, umfassendes Wohlwollen, menschliches Denken und Fühlen als der eigentlich national-deutsche Gemütszustand gilt, eben der muss mit ganzer Seele hoffen, dass Deutschland siegreich sei – und im Dienste dieser Hoffnung das Seine tun.“ Und, direkt am Kriegsende, in seinem Tagebuch sogar dies: „Ich bin imstande, auf die Straße zu laufen und zu schreien ‚Nieder mit der westlichen Lügendemokratie! Hoch Deutschland und Russland! Hoch der Kommunismus!'“
Doch machte Thomas Mann schon bald darauf überraschend seinen Frieden mit der Demokratie („Die Republik ist ein Schicksal.“) und sprach nun immer öfter von „Verantwortlichkeit“. Diese zweite Phase seines politischen Wirkens bezeichnet die Ausstellung als jene seines „Vernunftrepublikanismus“, auf die Thomas Mann später mit den folgenden Worten zurückblickte: „Bloße vier Jahre nach dem Erscheinen der ‚Betrachtungen‘ fand ich mich als Verteidiger der demokratischen Republik, dieses schwachen Geschöpfes der Niederlage, und als Anti-Nationalist, ohne dass ich irgendeines Bruches in meiner Existenz gewahr geworden wäre, ohne das leiseste Gefühl, dass ich irgendetwas abzuschwören gehabt hätte. Gerade der Antihumanismus der Zeit machte mir klar, dass ich nie etwas getan hatte – oder doch hatte tun wollen – als die Humanität zu verteidigen.“
Erst nach Hitlers Machtergreifung, die für Thomas Mann selbstredend auch eine erhebliche persönliche Gefährdung bedeutete, setzte die dritte Etappe seines politischen Lebens ein, die seines nunmehr sehr entschiedenen Einsatzes für die westliche Demokratie, wozu schließlich auch die erwähnten Radioansprachen in der BBC an das Deutsche Volk sowie Wahlkampfauftritte für den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Rosevelt gehörten. Allerdings drang auch zu dieser Zeit – siehe die oben zitierte Passage, wonach der Mensch womöglich eher den Schrecken wolle als die Freiheit – das pessimistische Menschenbild des Konservativen durch. Um von seinem irritierenden Aufsatz „Bruder Hitler“, der in der Ausstellung allerdings erstaunlicherweise ausgespart bleibt, gar nicht erst zu reden, wonach die Verbrechen des Führers sich nicht zuletzt aus seiner Künstlernatur speisten, was dann schon wieder ähnlich frivol anmutet wie die oben zitierte von ihm behauptete Nähe von Künstler- und Soldatentum während des Ersten Weltkriegs…
So bringt wohl am vollkommmensten Thomas Manns in seiner Lebsnmitte – vor gut 100 Jahren- veröffentlichter Roman „Der Zauberberg“ seine politische Haltung des Sowohl als auch auf den Punkt. Als Thomas Mann einmal gefragt wurde, welcher seiner fortwährend miteinander disputierenden Romanfiguren Settembrini und Naphta er näherstünde, da antwortete er: Keinem von beiden, sondern Hans Castorp. So wie sein Romanheld, der „einfache junge Mann“ Hans Castorp, um dessen Seele die beiden Philosophen sich im „Zauberberg“ streiten, so war wohl auch sein Verfasser sein Leben lang hin und hergerissen von den politischen Stürmen seiner Zeit. Und so gesehen passt diese Lübecker Ausstellung auch bestens in unsere politisch wieder sehr bewegte Gegenwart.
Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie
St. Annen-Museum, Lübeck
EIntritt: 12,00 Euro / Noch bis 18.1.2026