Fromme Rehabilitierung

Nina Hagen entdeckt ihren „Personal Jesus“
Thomas Claer

scheiben-tc-nina-hagenIn Würde zu altern, das ist die große Herausforderung für so viele Rock’n Roll-Helden von einst. Doch kann man nicht unbedingt behaupten, dass dies Nina Hagen, inzwischen auch schon 55, besonders gut gelungen wäre. Wenn sie in den letzten Jahren ein ums andere Mal durch mittelmäßige Fernsehshows tingelte und wild grimassierend von UFOs und Erleuchtung schwadronierte, sich schließlich sogar für menschenverachtende Casting-Shows im Privatfernsehen hergab, dann dachte man nur mit Wehmut an die rebellische junge Frau von ehedem, die eine so einzig- wie großartige Mischung aus Komik und Erotik verkörperte. Vom launisch-frechen DDR-Schlagersternchen („Du hast den Farbfilm vergessen“) wandelte sie sich nach ihrer Übersiedlung in den Westteil Berlins schnell zur exzentrischen Punk-Diva, die 1978 mit „Nina Hagen Band“ eines der stärksten deutschen Punk-Alben aller Zeiten herausbrachte. Sie sang darauf vom Klo auf’m Bahnhof-Zoo, vom Farbfernsehen zwischen Ost und West und vom Feminismus („Ich bin nicht deine Fickmaschine“), fühlte sich „unbeschreiblich weiblich“ und war dabei immer „sooo heiß“ … einfach unvergesslich!
Nun ist Nina Hagen also, ausgerechnet sie, die notorische Autoritätenverspotterin!, irgendwie auf die christliche Schiene gekommen. „Personal Jesus“ ist die Zusammenstellung von 13 Hagenschen Neuinterpretationen bekannter (ganz überwiegend amerikanischer Gospel-) Songs aus (ganz überwiegend) längst vergangenen Zeiten. Und das vage Misstrauen des Rezensenten findet umgehend Bestätigung: Die etwas dümmliche Fröhlichkeit der meisten dieser Nummern kann einem schon nach kurzer Zeit auf den Wecker fallen, ganz zu schweigen von ihrem oft einfältigen Inhalt. Unwillkürlich fühlt man sich an die „Jungen Christen“ in der Comedy-Sendung Switch, an Sarah Palin und die amerikanische Tea Party-Bewegung erinnert. Seine starken Momente hat das Album hingegen, wenn es musikalisch in Richtung Pop, Jazz oder Blues geht. „Personal Jesus“ von Depeche Mode ist eben einfach ein echt starker Song, dessen Nina-Adaption sich dem Original nahezu als ebenbürtig erweist. Auch „Sometimes I ring up heaven“ lässt sich hören und ganz besonders das mindestens 70 Jahre alte „Mean old world“. Hier stimmt einfach alles, auch Ninas verrauchte Stimme, die allerdings eindringlich vor Augen bzw. Ohren führt, wohin jahrzehntelanger Nikotin-Abusus führen kann. Positiv anzumerken ist schließlich noch, dass die CD, was bei einer unrettbaren Ulknudel wie Nina Hagen schon etwas heißen will, völlig ohne Blödeleien auskommt. Gut, dass jemand sie gebremst hat. Das Gesamturteil lautet daher: befriedigend (8 Punkte).

Nina Hagen
Personal Jesus
Koch Universal Music (Universal) 2010
Ca. € 17,-
ASIN: B003M8DV5S

Veröffentlicht von on Nov. 8th, 2010 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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