Die dritte Auflage des Nomos Handkommentar erinnert an 100 Jahre JGG
Matthias Wiemers
Über Altersgrenzen, an die Rechte und Pflichten junger Menschen anknüpfen, wird immer wieder diskutiert. Meistens erhoffen sich als progressiv geltende Parteien neue Wähler, wenn sie ein Wahlalter herabsetzen. Andererseits gibt es im SGB VIII junge Erwachsene bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, die man gewissermaßen sozialrechtlich infantilisiert hat, so dass sie noch Leistungen nach dem Gesetz in Anspruch nehmen können. Dass man mit 18 volljähirig wird, gilt auch erst genau 50 Jahre. Vor diesem Hintergrund kann die Einführung des JGG zum 1. Juli 1923, der bereits fünf Monate zuvor die Heraufsetzung des Strafmündigkeitsalters von zwölf auf 14 Jahre vorausgegangen war, als sehr stabil angesehen werden – auch wenn die Rückkehr der früheren Strafbarkeitsschwelle von zwölf Jahren immer wieder diskutiert wird – im Hinblick auf jugendliche „Intensivtäter“.
Was erwartet der Leser von einem Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz? Sicherlich mehr sozialwissenschaftliche Analyse – sprich: Kriminologie – als bei einem Kommentar zum StGB. Denn Sonderregeln für jüngere Täter bedürfen der empirischen Abstützung, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.
Und in der Tat, solche Angaben finden wir in diesem Kommentar. Er enthält zwar keine als solche bezichnete Einleitung oder Einführung, aber dann doch knapp 25 Seiten „vor §§ 1 ff. Grundlagen des Jugendstrafrechts“. Darin wird zunächst das Jugenstrafrecht „als Teil der sozialen Kontrolle Jugendlicher“ vorgestellt und danach werden empirische Daten zu „Jugendkriminalität in Deutschland“ präsentiert. Der dritte Abschnitt dieser Einführung fragt schließlich nach „Störfeldern des Normlernens: Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen abweichenden Verhaltens“ – womit wir spätestens in der Kriminologie angekommen sind. Die „normative Antwort“ ist dann nach Auffassung der Autoren das Jugendstrafrecht (Rdnr. 26). Es liegt nahe anzunehmen, dass die Aufassungen darüber, welche normative Antwort genau gegeben wird, einem zweitlichen Wandel unterworfen sein wird. Und auch hierfür efahren wir gleich eine Bestätigung, als in der Kommentierung zu § 1 (Rdnr. 1) hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs festgestellt wird, dass die Gruppe der Heranwachsenden (18 bis 20 Jahre) erst mit dem Änderungsgesetz von 1953 in das Gesetz aufgenommen wurde – immerhin 30 Jahre nach Inkrafttreten des JGG.
In diesem Stil geht es weiter, nicht zuletzt werden auch immer wieder Bezüge zum Kinder- und Jugendhilferecht hergestellt. Die Kommentierung ist straff, die Fußnoten enthalten zumeist nur einen einzlnen Nachweis, auf den man sich berufen möchte. Zwar erfolgen die Einzelkommentierungen nicht einem ganz einheitlichen Schema, finden allerdings immer wieder Wege, die tatsächlichen und rechtspolitischen Hintergründe der Einzelvorschriften aufzuzeigen, zumeist bevor in die eigentliche Kommentierung eingestiegen wird.
Fast jeder Einzelkommentierung ist einschläige Literatur vorangestelt, das Sachverzeichnis kann nur als umfangreich bezeichnet werden. Für Juristen, die sich im Bereich des Jugendstrafrechts wie der Kinder- und jugendhilfe spezialisieren wollen, ist das Werk perfekt. Ob es für Nichtjuristen aus diesen Arbeitsfeldern aus sich heraus verständlich ist, bleibt die Frage. Aber für diese gibt es eben speziellere Materialien. Kein Strafrechtler wird auf diesen Kommentar verzichten wollen.
Meier / Rössner /Trüg / Wulf / Bannenberg / Bartsch
Jugendgerichtsgesetz (Kommentar)
Nomos Verlag, 3. Auflage 2024
944 Seiten; 119,00 Euro
ISBN: 978-3-8487-7419-7