Bericht aus dem Maschinenraum

Susanne Baer berichtet über ihre Jahre als Verfassungsrichterin

Matthias Wiemers

Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Büchern über das Bundesverfassungsgericht und seine Arbeitsweise – sei es von Journalisten, Rechtshistorikern und auch Richtern. Während allerdings die ehemalige Richtern in Gertrude Lübbe Wolff vor wenigen Jahren eine umfangreiche rechtsvergleichende Studie über die Arbeitsweise ihres ehemaligen Gerichts vorlegt hat, folgt nun mit dem Bericht von Susanne Baer eine sehr persönliche Darstellung der eigenen Erfahrungen, die sich verbindet mit einem streitbaren Eintreten für die Verfassungsgerichtsbarkeit als Institution, die nicht umsonst bereits den Aufkleber „Spiegel-Beststeller“ trägt.
Die Autorin, Ordinaria für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität, wurde als Nachfolgerin von Brun-Otto Bryde von den Grünen als Verfassungsrichterin vorgeschlagen und gehörte dem Ersten Senat des Gerichts von 2011 bis 2023 an. Einer Partei gehört sie nicht an. Im Senat war sie zuständig für Arbeits- und Sozialrecht sowie für die Grundrechte der Vereinigungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft.
Die Autorin schildert zunächst, warum sie das Buch geschrieben hat, indem sie die Rolle des BVerfG in unserem demokratischen System schildert, nämlich „Rote Linien“ zu ziehen für das Funktionieren unseres demokratischen Systems. Sie will aufklären über die Arbeitsweise des Gerichts – was sie dann auch ausführlich im zweiten Kapitel tut: „Kein blindes Vertrauen: von Akten und Beratungen“. Hier wird deutlich, wie intern um auch einzelne Formulierungen der Entscheidungen sowohl im Senat wie in den einzelnen Kammern der Senate gerungen wird – ohne dass hier natürlich auf konkrete Verfahren und Personen eingegangen wird. Das Beratungsgeheimnis des Gerichts bleibt selbstverständlich gewahrt. Erst danach wird noch einmal die Idee, die zur Gründung des BVerfG geführt hat, dargelegt, im Kern die Idee des „Nie wieder“, was ja historisch auch absolut zutrifft, wenn man sich auch das Grundgesetz anschaut.
Dann kehrt Baer nochmal zurück zur gerichtlichen Praxis und zeigt, wie die Fälle ins Gericht und dann in die Büros der zuständigen Richterinnen und Richter gelangen und wie dann damit umgegangen wird.
Dann beginnt die zweite Hälfte des Bandes, die sich mit der Schilderung von insgesamt sieben Fällen des BVerfG auseinandersetzt. „Kontroversen konkret“, und zwar zu den Themen Klimaschutz, Migration, Coronakrise, Sicherheit und Freiheit, Existenzminimum, Gleichheit und schließlich Demokratie.
Dass es sich bei Susanne Baer, deren einzelnen Thesen man natürlich nicht immer folgen muss, um eine engagierte Verteidigerin der Demokratie in Deutschland handelt, wird nicht erst in dem Fazit „Demokratie also“ auf Seite 378 deutlich. Ein Anhang, überschreiben mit „Wenn Sie mehr wissen möchten“ zeigt zahlreiche Medien auf, die über das BVerfG aufklären – angefangen mit allen relevanten Berichten in Buchform, die über das BVerfG existieren. Diese Bücher mögen alle ihre Berechtigung haben, und es kommt so allmählich aus der Frühzeit des Gerichts noch etwas zutage (Erinnert sei hier insbesondere an die Forschungen von Fabian Michl in Leipzig), aber das Buch von Susanne Baer ist ein besonders anschaulicher Bericht einer selbst Engagierten, die aber andere Meinungen akzeptiert und in ihrem Bericht deutlich machen konnte, dass in den Beratungen der Senate um Erkenntnisse gerungen wird. So wird das Gericht selbst zu einer Errungenschaft in einem System gestufter Gemeinwohlhervorbringung.
Dem Verlag Herder ist hier schon wieder gelungen, sogleich mit einer Taschenbuchversion ein breites Publikum zu erreichen.

Susanne Baer
Rote Linien. Wie das Bundesverfassungsgericht die Demokratie schützt
Herder Verlag, 1. Auflage 2025
384 Seiten; 22,00 Euro
ISBN: 978-3-451-07406-6

Veröffentlicht von on Dez. 15th, 2025 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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