Panther, Tiger und Co.

Werdegang und publizistisches Wirken des Juristen Kurt Tucholsky

Jochen Barte

Kurt Tucholsky ist – immerhin – ein Autor, den man auch heute nicht erst durch langatmige Einführungssätze vorstellen muss. „Tucho“, wie er von ihm nahestehenden Personen gerne genannt wurde, ist im kollektiven Gedächtnis der Nation immer noch sehr präsent. Allerdings ist er – wie es sich für einen anständigen Satiriker gehört – dabei auch umstritten geblieben. Unvergessen und immer wieder mal neu aufgelegt ist die Debatte um seine Formulierung „Soldaten sind Mörder“. Der Ausspruch stammt aus einer Glosse, die Tucholsky im Jahr 1931 geschrieben hatte. Bereits damals wurde ein Prozess wegen Beleidigung der Reichswehr angestrengt, der aber folgenlos blieb, da die Gerichte einen nicht näher konkretisierbaren Personenkreis annahmen. Während der achtziger Jahre erlebte der Satz dann seinen zweiten Frühling und gerann zum populären Slogan. Unter  Kriegsdienstverweigerern war es eine beliebte Mode geworden, Tucholskys Texte gegen penetrante weltanschauliche Fragen der zuständigen Kreiswehrersatzämter in Stellung zu bringen. Die juristische Frage, ob hierbei wie auch bei ähnlich gelagerten sprachlichen Abwandlungen von einer strafbaren Kollektivbeleidigung gemäß § 185 StGB auszugehen ist, ist mittlerweile ausgestanden. Die Rechtsprechung hatte dies zunächst uneinheitlich beantwortet, insbesondere den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB, die Wahrnehmung berechtigter Interessen, in der Tendenz restriktiv angewandt. Aber Mitte der neunziger Jahre ergingen zwei Grundsatzurteile des BVerfG in denen die bekannte verfassungsrechtliche Schaukel, die Wechselwirkungslehre, zugunsten der Anhänger Tucholskys ausschlug: Das BVerfG argumentierte, dass § 193 StGB eine besondere Ausprägung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG darstelle, und im Grundsatz dem Meinungsschutz in einer freiheitlichen Demokratie Vorrang vor dem Ehrschutz einzuräumen sei. Soweit so gut . Doch „Tucho“, wenngleich schon lange tot, machte sich damit natürlich wieder neue Feinde. Wie gewohnt besonders im konservativen Lager. Zeitweise wurde sogar die Verabschiedung eines speziellen Gesetzes zum Ehrenschutz von Soldaten diskutiert. Kein Wunder auch, dass der Verfasser dieser Zeilen zusammen mit Gleichgesinnten den Satiriker und brillanten Essayisten seinerzeit im Deutschleistungskurs erst nachdrücklich einfordern musste. Tucholsky und das alte bildungsbürgerlich geprägte dreigliedrige Schulsystem, das ging kaum zusammen. Wer den Scheffelpreis für das beste Deutschabitur gewinnen wollte, der war mit Tucholskys frechen und anspielungsreichen Texten als Blaupause schlecht beraten. Biedermeier trifft Eros? Eher nicht. Wie wohl Tucholsky selbst zu Lebzeiten auch nie ein Literaturpreis verliehen wurde. Viel zu viele Feinde eben!
Wie kam es aber überhaupt zur publizistischen Laufbahn des Kurt Tucholsky und was bedingte die immer noch andauernde polarisierende Wirkung? Nun, Tucholsky wird 1890 in Berlin Moabit geboren. Der Vater hat es als Kaufmann zu Wohlstand gebracht. Die Familie lebt im gehobenen Bürgertum. Es bestehen jüdische Wurzeln, allerdings konvertiert Tucholsky später zum Protestantismus. Seine Kindheit ist behütet, er wächst zusammen mit zwei weiteren Geschwistern auf, dem Bruder Fritz und der Schwester Ellen. Aber leicht hat er es trotzdem nicht: Als Tucholsky 15 Jahre alt ist, stirbt der Vater. Das Verhältnis zur Mutter war nie von besonderer Zuneigung geprägt gewesen und sollte sich auch nicht mehr verbessern. Für die Kinder ist sie kaum mehr als ein „herrschsüchtiger Dämon“, was sich besonders auf Tucholskys spätere  Beziehungen zu Frauen auswirken sollte. Diese werden zahlreich und unstet sein; immer von großer Ambivalenz und innerer Zerrissenheit geprägt.
Mit der Schule tut sich der junge Kurt schwer. Aus ihm wird schnell ein kritischer Schüler, den die Autorität der Lehrer zu Spott und Parodie reizt. Er lernt nicht übermäßig, aber er liebt Bücher und hat ein enormes Lesepensum. Fast zwangsläufig, dass es im Deutschunterricht zu Problemen kommt: Tucholsky hält sich nicht an thematische Vorgaben, er bekommt schlechte Zensuren, bleibt schließlich sitzen und verlässt das Gymnasium, um sich privat auf das Abitur vorzubereiten. Das gelingt auch. 1909, zwei Wochen nach Erhalt des Abiturzeugnisses, immatrikuliert er sich an der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Aber auch hier ist er unstet, kann sich aufgrund ererbten Geldes einen mehrfachen Wechsel des Studienortes leisten. Und Tucholsky ist auch an anderen Fächern interessiert, er besucht Vorlesungen zu historischen, literarischen, medizinischen und ökonomischen Themen. Kritisch stellt er fest, dass Juristen nicht für die praktische Arbeit ausgebildet würden, stattdessen würden „aus staubigen Wälzern“ Theorien der alten Römer und Germanen breitgetreten. Das Studium nimmt er locker, wendet sich schon bald dem Schreiben zu. Für den linken Vorwärts schreibt er ab 1911 erste Artikel. Im November 1912 erscheint die Liebesgeschichte Rheinsberg. Sie wird sein erster großer Erfolg. Dennoch bleibt Tucholsky mit der Juristerei verbandelt. Hat er doch im August die Universität mit dem Ziel verlassen, sich auf das erste Staatsexamen vorzubereiten. Daraus wird aber nichts. Zur Prüfung tritt Tucholsky gar nicht erst an – anderweitige literarische und verlegerische Tätigkeiten gehen vor. Das lässt er jedenfalls verlauten. Andererseits: Tucholsky nimmt an der Universität Jena eine juristische Dissertation mit dem Thema die Vormerkung aus § 1179 BGB und ihre Wirkungen in Angriff und wird 1914 – im zweiten Anlauf – zum Dr. jur. promoviert.
Aber das bleibt folgenlos, denn als klassischer Jurist wird Tucholsky nie arbeiten. Bereits 1913 hat er den Herausgeber der Zeitschrift Die Schaubühne (später umbenannt in Die Weltbühne), Siegfried Jacobsohn, kennengelernt – eine schicksalhafte Begegnung. Jacobsohn erkennt das Talent des jungen Mannes und Tucholsky steigt rasch zum versiertesten und produktivsten Mitarbeiter des Blattes auf. Und damit niemand merkt, dass er einzelne Ausgaben fast im Alleingang bestreitet, legt er sich Pseudonyme zu: Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser, Peter Panther und Theobald Tiger. Die letzteren hat er den Fällen seines Repetitors aus der Staatsexamenszeit entnommen. Alle Figuren zusammen ergeben in etwa den ganzen „Tucho“ oder gelegentlich auch etwas mehr, denn Tucholsky ist nicht der Mann, der sich privat oder publizistisch auf einen kohärenten Nenner bringen ließe. Immer sind da Widersprüche: Dynamik und Beharrungsvermögen, Leichtigkeit und Melancholie, Agitation und Resignation, Ausschweifung und bürgerliche Form, Zuneigung und Hass – alles ist bei Tucholsky zu finden. Die kleine Form beherrscht er meisterhaft, zur großen fehlt ihm eingestandenermaßen der lange Atem. Das ist aber nicht weiter nötig, denn er wird auch so der bedeutendste deutsche Publizist der zwanziger Jahre. Einer, der in keine Schablone passt, der die junge Republik bis aufs Messer gegen ihre Feinde verteidigt und versucht, mit seinen humanistischen und pazifistischen Grundüberzeugungen der Reaktion und dem Militarismus das Handwerk zu legen. Er warnt frühzeitig vor den Nazis und datiert auf das Jahr genau den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Besonders der Justiz seiner Zeit hält der Dr. jur. Kurt Tucholsky den Spiegel vor. Als da wären: Arroganz, Indifferenz, Standesdünkel, Klassendenken, Kryptofaschismus und Lethargie. Seine Gerichtsreportagen – beispielsweise über den Harden-Prozess- sind auch heute noch erhellend und lesenswert, denn Tucholsky ist ein scharfer psychologischer Beobachter und Analytiker der deutschen Mentalität. Immer wieder geißelt er bei seinen Landsleuten Rachsucht, provinziellen Biedersinn und Untertanendenken – und prägt dabei unzählige Bonmots wie das folgende: „Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich um, wer ihm schadensersatzpflichtig ist.“
Doch letztlich sind Scharfblick und Virtuosität vergebens. „Der kleine, dicke Mann mit der Schreibmaschine“ kann die Katastrophe nicht aufhalten. Die Nazis liquidieren 1933 die demokratischen Reste der Weimarer Republik und machen sich daran, den Weltkrieg vorzubereiten. Es ist die Tragik des politischen Publizisten, der den Verfall aus dem schwedischen Exil mitansehen muss und dem es im Angesicht des Horrors schon seit geraumer Zeit die Sprache verschlagen hat. Ohne Publikationsmöglichkeiten, finanziell ausgelaugt und ohne Plan für eine menschenwürdige Zukunft stirbt Kurt Tucholsky tief resigniert 1935 in Hindas, Schweden. Man sagt es sei Selbstmord gewesen, aber so genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren.

Quellen:
Hepp, Michael: Kurt Tucholsky. Biografische Annäherungen. Berlin: Rowohlt 1999.
Zwerenz, Gerd: Kurt Tucholsky. Biografie eines guten Deutschen. München: Bertelsmann 1979.
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke. Berlin Rowohlt 1975.

Veröffentlicht von on Jan 2nd, 2012 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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