Ein Erfahrungsbericht über das Studium in der französischsprachigen Schweiz
Jan-Gero Alexander Hannemann
Ca. 17 % aller Studierenden in Deutschland bauen in ihr Studium einen Auslandsaufenthalt ein. Auch für Juristen wird so ein Auslandssemester immer attraktiver und wichtiger. Da dachte ich mir: Das will ich auch. Und so verbrachte ich mein Wintersemester 2012/2013 an der Universität Genf (Université de Genève).
Warum gerade Genf?
Es sollte allerdings nicht irgendein beliebiges Auslandssemester sein. Im Ausland zu studieren ist teuer, und wenn man das tun möchte, dann sollte man diese – letztlich doch vergleichsweise kurze – Zeit auch besonders intensiv nutzen, dachte ich mir. Daher machte ich mir einen genauen Plan, was ich in diesem Semester alles erreichen wollte. Zum einen war es mir wichtig, keine Zeit im Studium zu verlieren, zum anderen wollte ich eine meiner Fremdsprachen auf akademisches Niveau bringen und mir eine fremde Kultur erschließen.
Die Universität Genf und die deutschen Fakultäten verbindet eine fast 500-jährige Tradition des beiderseitigen Austausches. So haben dort seit der Gründung der Universität 1559 durch Johannes Calvin auch immer Deutsche studiert. Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann mehrere Lehrstühle gebildet, die das deutsche Recht lehrten, da das schweizerische Recht nur in Ansätzen eine bundesweite Kodifizierung erfuhr. Daher besteht schon seit dieser frühen Zeit an der Universität Genf ein eigener deutscher Lehrstuhl für Deutsches Zivilrecht mit einem – man will es fast nicht glauben – deutschen Professor. Das hat zur Folge, dass man dort seinen deutschen Zivilrechtschein erwerben kann, der einem auch ohne Einschränkungen an allen Fakultäten Deutschlands anerkannt wird. So verwundert es nicht, dass Generationen von deutschen Juristen in Genf studiert haben und auch heute vor Ort eine große Anzahl deutscher Studenten zu bemerken ist, die von fast allen deutschen juristischen Fakultäten entsendet werden.
Da Genf aufgrund dieser lange währenden Tradition ein interessantes Ziel für deutsche Studenten ist, haben aber die meisten deutschen Universitäten nicht mehr als zwei Studienplätze in Genf zur freien Disposition. Auch abgesehen von den Studenten aus Deutschland ist Genf eine überdurchschnittlich internationale Stadt. So leben dort bei einer Gesamtzahl von ca. 467.000 Bewohnern etwa 186.000 aus dem Ausland stammende Einwohner mit einer entsprechenden Aufenthaltsgenehmigung („autorisation de séjour officielle“), was nahezu 40 % der Bevölkerung entspricht. Es finden sich hier viele internationale Organisationen, und wenn man sich nur ein bisschen bemüht, dann kommt man mit vielen Menschen in Berührung, die in diesen Organisationen arbeiten. So bin ich z.B. über ein paar Umwege Mitglied eines von Mitarbeitern der Vereinten Nationen organisierten Debattierclubs geworden, der regelmäßig im hoch gesicherten UN-Palais zusammentraf, um dort zu diskutieren und die rhetorischen Fertigkeiten der Mitglieder auszubauen.
Das Schweizer Ausbildungssystem
Das Schweizer Ausbildungssystem ist allgemein als sehr hochwertig und innovativ bekannt. So gibt es in Genf unter anderem sogenannte „legal clinics“, die universitätsintern organisiert sind. Ich entschloss mich aber zur Teilnahme an einem Moot Court Wettbewerb („Vienna Willem C. Vis Arbitration Moot Court 2012/2013“). Bei dem Moot Court handelt es sich um einen der weltweit prestigeträchtigsten internationalen Moot Court Wettbewerbe der Rechtswissenschaften in englischer Sprache. Der privatrechtliche Wettbewerb wird in Wien abgehalten, und es nehmen inzwischen mehr als 300 Universitäten weltweit – in jährlich steigender Anzahl – daran teil. Ziel des Wettbewerbes ist es, einen an die Realität angelehnten Fall im UN-Kaufrecht im Zuge eines Arbitrationsverfahrens (Schiedsverfahren) lebensnah zu bearbeiten und anschließend prozessual zu vertreten.Leider konnte ich nur an der ersten Phase teilnehmen, da ich bereits im April wieder in Regensburg studieren musste, um mit meinen Studienplänen nicht in Verzug zu geraten, was aber seitens der Ausrichter kein Problem darstellte.
Im Zuge des Wettbewerbes stellte ich dann fest, dass es an der Universität Genf gar keinen Debattierclub gab. Da ich bereits in Hannover einen Debattierclub gegründet hatte, dachte ich mir, dass man das ja in Genf einmal wiederholen könnte. Ich war damit recht erfolgreich, und schnell hatten wir die magische Marke der 90 Mitglieder geknackt. Der Club ist etwas, was ich in Genf von mir zurückgelassen habe.
Fazit
Alles in allem gab es rückblickend viele gute Gründe nach Genf zu gehen. Die Zeit war großartig, und neben all den akademischen Aktivitäten konnte man viele Freundschaften schließen und Kultur, Land und Leute kennenlernen. Die gewonnenen Erfahrungen, die vor diesem Hintergrund einsetzende kritische Betrachtung des eigenen Rechtssystems und der eigenen Arbeitsweise, sind von unschätzbarem Wert für die persönliche und berufliche Entfaltung. So war mein Auslandsstudium also kein „etwas längerer Urlaub“, sondern eine prägende und nachhaltig bildende Erfahrung.