Mal eben ein Pogrom

Recht cineastisch, Teil 20: „Wir sind jung. Wir sind stark“ von Burhan Qurbani

Thomas Claer

Rostock-Lichtenhagen im August 1992: Hunderte rechtsradikale jugendliche Gewalttäter werfen Brandsätze auf eine Aufnahmestelle für Asylbewerber und das benachbarte Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter. Tausende Schaulustige applaudieren ihnen dabei und rufen Parole wie: „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ Im brennenden Wohnheim befinden sich noch über hundert Vietnamesen und ein Kamerateam des ZDF. Zwischenzeitlich zieht sich die Polizei völlig zurück und überlässt die im Haus Eingeschlossenen, die in Todesangst auf das Dach zu flüchten versuchen, ihrem Schicksal… Im Rückblick wirken die Ereignisse eher noch monströser und ungeheuerlicher als aus damaliger Sicht. Hinzu kommt, dass sich seinerzeit auch die deutsche Politik auf allen Ebenen, um es vorsichtig auszudrücken, nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. (Näheres hierzu unter Wikipedia.)

Der afghanischstämmige 34-jährige Filmregisseur Burhan Qurbani hat jenen dunklen 24. August 1992 in einem 128-minütigen Drama eingefangen und geht dabei implizit auch der Frage nach, wie es soweit überhaupt kommen konnte. Am Ende verlässt man das Kino tief erschüttert, aber nicht unbedingt viel klüger als zuvor. Die jugendliche Nazi-Clique, die am Abend die Brandsätze werfen wird, besteht aus zwei bis drei fanatischen Ideologen und mehreren tendenziell gleichgültigen Mitläufern, letzteres trifft vor allem auf die Mädchen in der Gruppe zu. Alle sind von den mächtigen Umwälzungen der letzten Jahre irgendwie frustriert und wissen nicht viel mit sich und der plötzlichen großen Freiheit anzufangen. Zwar hat der Filmtitel, der die jugendliche Stärke der Akteure betont, durchaus seine Berechtigung, aber genauer müsste er eigentlich heißen: „Wir sind jung. Wir sind verwirrt. Wir fühlen uns ohnmächtig und schwach, aber doch noch stark genug, um Jagd auf noch Schwächere zu machen und daraus neues Selbstbewusstsein für uns selbst zu ziehen.“ Noch viel erschreckender als die Ausschreitungen der jungen Leute (Jugend und Randale – das gibt es schließlich häufiger, und es ist Sache der Polizei, sich darum zu kümmern) ist natürlich die klatschende, antreibende und Parolen grölende Menschenmenge um sie herum. Es sind unzufriedene Menschen in einem trostlosen Plattenbaubezirk aus den Siebzigerjahren. Aber wir befinden uns immerhin in Rostock, das zu DDR-Zeiten – anders als etwa Dresden – keineswegs ein „Tal der Ahnungslosen“ gewesen ist. Rostock war immer stolz darauf, eine weltoffene Hansestadt zu sein. Sein Hafen war in der kleinen, engen DDR so etwas wie ein Tor zur großen, weiten Welt.

Was für mich besonders bedrückend ist: Ein paar Jahre zuvor bin ich im 60 km von Rostock entfernten Wismar und in einem Dorf in Nordwestmecklenburg zur Schule gegangen. Die Wende habe ich allerdings bereits im Westen erlebt. Später hörte ich, dass ehemalige Mitschüler von mir, darunter sogar ein früherer guter Freund, den ich noch Anfang 1990 von Bremen aus in Wismar besucht hatte, in die rechte Szene abgedriftet seien. Traurig, aber wahr.

Wir sind jung. Wir sind stark
Deutschland 2015
Regie: Burhan Qurbani
Drehbuch: Martin Behnke / Burhan Qurbani
Darsteller: Devid Striesow, Jonas Nay, Joel Basman, Le Hong Tran, Saskia Rosendahl, Thorsten Merten, David Schütter u.v.a.

Veröffentlicht von on Feb 2nd, 2015 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT CINEASTISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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