Strafrechtsgeschichte

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

es muss wohl zu Beginn des zweiten Semesters gewesen sein, als unser netter zauseliger Strafrechtsprofessor mit dem Rauschebart, der immer einen grünen Wollpullover trug, uns auf seine demnächst beginnende Vorlesung zur Strafrechtsgeschichte aufmerksam machte, für welche er die Präsentation seines umfangreichen Dia-Bildarchivs mit allerlei historischen Darstellungen von Foltermethoden und sonstigen Grausamkeiten ankündigte. Nervenkitzel sei also garantiert. Die Veranstaltung, teilte er uns mit, werde regelmäßig im vollkommen verdunkelten Hörsaal stattfinden. Mit dieser Vorlesung, so ergänzte er noch mit einem hintersinnigen Lächeln, habe er schon Ehen gestiftet. Das klang für uns natürlich gut. Unsere Clique bestand aus fünf männlichen Jura-Studenten, keiner von uns hatte bisher eine Freundin…

Ein paar Tage später betrat ich anlässlich irgendeiner anderen Vorlesung das riesige Audimax und schlenderte in Richtung der hinteren Reihen, in denen man schon fast mit dem Kopf an die Decke stieß, als ich merkte, dass mir jemand zuwinkte. Es war eine Kommilitonin, die mir sehr reizvoll erschien. Vor kurzem war ich mit ihr zufällig an der Bushaltestelle vor der Uni ins Gespräch gekommen. Und nun saß sie also ganz allein in den obersten Reihen, deutete mit ihrer Hand auf den leeren Platz links von sich und sah mich dabei fragend an. Da ließ ich mich natürlich nicht lange bitten. Schon reichlich euphorisiert setzte ich mich neben sie und praktizierte mit ihr zur Begrüßung den üblichen Smalltalk. Man saß dort oben recht eng beisammen, ich spürte, wie mein Oberschenkel von ihrem berührt wurde. Vor allem aber konnte man sich hier vortrefflich miteinander unterhalten, man durfte nur nicht zu laut sein. Wir redeten während der Vorlesung über dies und das, über Popmusik und Filme, Fernsehsendungen (das Internet war damals noch nicht erfunden) und die Besonderheiten unseres Studienortes, eigentlich über fast alles außer Jura. Sie war nicht nur bildhübsch, sondern auch eine umwerfende Gesprächspartnerin. Langsam reifte in mir der Entschluss, jetzt einmal richtig in die Offensive zu gehen, und ich fragte sie mit zitternder Stimme, ob sie denn vielleicht auch morgen in der besagten Strafrechtsgeschichtsvorlesung neben mir sitzen wollen würde. Sie war sofort einverstanden und schien gar nichts dabei zu finden. Um meinen Ambitionen noch etwas Nachdruck zu verleihen (was aber zu diesem frühen Zeitpunkt vielleicht keine so gute Idee war), fragte ich sie noch, ob ihr denn auch klar sei, was das bedeute, es wisse doch jeder und der Professor habe doch gesagt… Da kam von ihr plötzlich ein sehr entschiedenes „Nein!“ Doch rettete sie selbst sogleich die Situation, indem sie blitzschnell das Thema wechselte und mit mir weiter über andere Dinge diskutierte. Und sie verabschiedete sich schließlich von mir mit einem sehr liebenswürdigen: „Dann bis morgen bei Strafrechtsgeschichte!“

Wie ich dieser Vorlesung entgegenfieberte! Schon zehn Minuten vor Beginn saß ich im kleinen Hörsaal und hatte zwei Plätze besetzt, die mir besonders geeignet erschienen waren. Doch sie kam nicht. Immer wieder sah ich mich um und blickte vergeblich zum Eingang. Mit leichter Verspätung stand sie schließlich doch noch in der Tür und setzte sich, ohne auch nur nach mir Ausschau zu halten, direkt auf einen Platz direkt am Eingang – ausgerechnet neben meinen Freund S., den sie offensichtlich auch gut kannte. Als die beiden mich sahen, grinsten sie zu mir hinunter. Dann wurde es dunkel, und ich erkannte, als ich mich gelegentlich umdrehte, dass sie sich wohl recht angeregt unterhielten.

Als ich meine Favoritin später für ihren Verrat zur Rede stellte, erklärte sie mir, sie habe es leider nicht früher geschafft, und es sei doch so voll gewesen, wir könnten ja beim nächsten Mal in Strafrechtsgeschichte zusammensitzen. Zu meiner großen Beruhigung schien es mein Freund S. aber nicht auf sie abgesehen zu haben. Er hatte natürlich gleich gemerkt, was los war, und ermutigte mich sogar ganz ausdrücklich dazu, bei ihr unbedingt am Ball zu bleiben, was ich ihm hoch anrechnete.

Es dauerte nicht  lange, da saß ich nicht nur in Strafrechtsgeschichte, sondern schon in jeder Vorlesung neben ihr, was meine Freunde, die meistens ein paar Reihen weiter saßen, stets mit johlendem Gelächter und lauten „Hoho!“ und „Hehe!“-Rufen kommentierten. Bald traf ich meinen Schwarm dann auch regelmäßig nach den Vorlesungen. Wir gingen zusammen ins Uni-Kino, auf ein Popkonzert, machten Spaziergänge (es war Frühling!), kochten gemeinsam und redeten unentwegt über alles nur Denkbare. Man kann sogar sagen, dass wir einander unser bisheriges Leben erzählten. Manchmal verbrachten wir unsere Zeit auch im Studentenwohnheim und hörten Musik oder sahen uns einfach nur schweigend an. Ich hatte das Gefühl, dass zwischen uns einfach alles stimmte. Doch bereits nach drei sehr intensiven Monaten hatte sie genug von mir und verliebte sich „Hals über Kopf“, wie sie sich ausdrückte, in einen anderen Kommilitonen, wobei es mir selbstverständlich völlig unbegreiflich war, was sie nur an ihm finden konnte. Sie begründete ihren Schritt mir gegenüber damit, dass sie sich zwar noch nie im Leben mit jemandem so gut unterhalten habe wie mit mir, „aber so als Mann“, nein, da habe sie dann doch „völlig andere Vorstellungen“. Mich stürzten diese Ereignisse fast ein Jahr lang in tiefe Depressionen. Dann aber hatte ich irgendwann eine neue Freundin, diesmal keine Juristin, sondern eine Literaturwissenschaftlerin. Sie erklärte mir eines Tages, ich sei ja schon ein „ganz komischer Typ“ und würde auch den ganzen Tag nur Unsinn reden, aber „Hauptsache gut im Bett“. Ich zog daraus für mich die Erkenntnis, dass man es im Leben niemandem (und insbesondere keinem weiblichen Wesen!) in jeder Hinsicht recht machen kann… Der zauselige Professor, bei dem wir damals Strafrechtsgeschichte gehört hatten, wurde später mein Doktorvater, und mit meiner Studienfreundin Nr. 2 bin ich inzwischen seit 17 Jahren verheiratet…

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Nov 9th, 2015 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Strafrechtsgeschichte”

  1. J. Kraut sagt:

    Wie sagte ein berühmter Jurist: Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, das Ewig-Weibliche zieht uns hinan ;-)

Hinterlassen Sie einen Kommentar!