Im Abseits der Aufklärung

Leonhard Horowskis „Europa der Könige – Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts“ ist der eigentliche Sachbuchpreisgewinner der diesjährigen Leipziger Buchmesse 2017 – findet unser Autor Benedikt Vallendar

Anziehungspunkt für Alt und Jung: Die Leipziger Frühjahrsbuchmesse in den neuen Messehallen (Foto: Tom Schulze)

Leipzig / Berlin – In rechtlichen Dingen hatte allein der König das Sagen. Wenn im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert „Recht“ gesprochen wurde, dann war in Zweifelsfällen der Wille des Monarchen ausschlaggebend, der es sich, in zahlreich dokumentierten Einzelfällen, nicht nehmen ließ, nach persönlichem Gusto zu entscheiden. Bekanntestes Opfer königlicher Willkür war wohl der Leutnant Hans Hermann von Katte, der 1730 in der Festung Küstrin enthauptet wurde, weil er dem preußischen Kronprinzen und späteren König Friedrich II. (dem „Großen“) zur gescheiterten Flucht vor seinem tyrannischen Vater verholfen haben soll. Von Katte war zuvor von einem Gericht zu lebenslanger Festungshaft verurteilt worden, woraufhin der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. die Hinrichtung anordnete.

Spannende Lektüre für Juristen

In eindrucksvoller Manier, mit Wortwitz und beeindruckender Detailkenntnis gelingt es dem Berliner Historiker Leonhard Horowski, Jahrgang 1972, in seinem neuesten Werk das Ränke-und Machtspiel an den europäischen Höfen der Frühen Neuzeit zu entlarven. Wer als Adeliger „dazu“ gehören wollte, musste seine Gunst allein dem absolut regierenden König erweisen. Ohne Rücksicht auf die Belange der weitgehend rechtlosen Untertanen. Die des Lesens und damit auch des Verstehens von Gesetzestexten meist unkundigen Bauern, Handwerker und Domestiken konnten dem Treiben an Europas Höfen rund um Gier, Macht und Sex nur tatenlos zusehen. Und froh sein, wenn es zwischenzeitlich auch mal einen menschenfreundlichen Monarchen gab, dessen Politik ihnen wenigstens zeitweilig Frieden und bescheidenen Wohlstand bescherte.

Das, was die Geschichtsbücher heute als „Zeitalter der Aufklärung“, als Kampf um Gleichheit, Verstand und solidarisches Miteinander in Staat und Gesellschaft bezeichnen, beschränkte sich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert weitgehend auf Bücher, Briefe und Gelehrtenzirkel. Und mündete erst allmählich, will sagen: wenige Jahrzehnte vor der Französischen Revolution 1789 in praktische Politik.

Horowskis rund 1.200 Seiten starke Buch war für den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 nominiert und ist doch leer ausgegangen. Völlig zu Unrecht, denn auch wer als (angehender) Jurist erfahren möchte, wie Recht, Rechtsprechung und Gerechtigkeit bis zur Französischen Revolution meist nur die Staffage für persönliche Ambitionen, Spielereien und Liebeleien des Adels, einer Monarchenfamilie und leider auch diverser Kirchenoberer waren, dem sei dieses Buch aufs Wärmste empfohlen.

Aktuelle Literaturempfehlung:

Leonhard Horowski
Das Europa der Könige.
Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017; ISBN 9783498028350
Gebunden, 1120 Seiten, 39,95 EUR

Veröffentlicht von on Mrz. 27th, 2017 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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