„Wer wir sind – Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein“ von Jana Hensel & Wolfgang Engler
Katrin Sasse
Auch nach fast 30 Jahren deutscher Einheit sind die Einwohner der fünf neuen Bundesländer noch immer eine unbekannte Größe für die Politik, für die Medien und auch für die Wirtschafts- und Marketing-Strategen.
Da wird auf wöchentlichen Demos skandiert, dass man das Volk sei und Merkel weg müsse und die Presse eine „Lügenpresse“ sei. Außerdem gehen die „Ossis“ nicht richtig wählen. Und dann sind sie auch noch ausländerfeindlich, obwohl doch relativ wenige Ausländer in Ostdeutschland leben. Im Westen kann man das einfach nicht verstehen. Was haben die Ostdeutschen bloß?
So trafen sich also die Schriftstellerin Jana Hensel – bekannt geworden durch „Zonenkinder“ – und der Soziologe und Dozent Wolfgang Engler immer wieder zu Gesprächen, um die Gründe dafür zu finden, warum die Bürger Ostdeutschlands einfach nicht brav in der bundesdeutschen Demokratie mitspielen. Ihr gemeinsames Buch nimmt die Gesprächsform auf und lässt den Leser klar erkennen, wer welchen Standpunkt vertritt. Hensel und Engler, die beide in der DDR aufgewachsen sind, wissen genau, wovon sie sprechen. Wolfgang Engler gehört zur Nachkriegsgeneration, während Jana Hensel mit Jahrgang 76 zu jener Generation gehört, die fast als letzte die DDR noch bewusst wahrgenommen hat. Damit treffen sehr unterschiedliche Erfahrungen und mitunter auch Sichtweisen aufeinander.
Ganz systematisch und in großer Ausführlichkeit wird hier wirklich alles besprochen, was die Thematik hergibt: von den Erfahrungen der Kriegsgeneration, dem Prager Frühling, dem Mauerbau und Mauerfall bis zur Wendezeit, der Treuhand, der Arbeits- und Heimatlosigkeit, der AfD, einschlägigen Filmen und Büchern sowie schließlich Obama….. Beide Autoren scheuen sich nicht, ihre eigenen Biographien miteinzubringen. Die eigenen Elternhäuser dienen so als Beispiele für das Leben in der DDR. Dabei haben beide keine Mühe, die DDR und auch die daraus entstandenen neuen Bundesländer kritisch zu betrachten, ohne das Verständnis für die Situation der Menschen zu verlieren.
Manchmal ist die Sprache in diesem Buch allerdings so mit Fremdwörtern überfrachtet, dass mir der Spaß am Lesen verloren ging. Die sehr ausführlichen, manchmal regelrecht langatmigen Ausführungen zu diesem und jenem förderten auch nicht gerade meinen Lesefluss. Nein, ein leichtes, gefälliges Buch haben wir hier nicht gerade. Aber wir haben eine gründliche Analyse der ostdeutschen Befindlichkeit. Vielleicht hilft sie ja dabei, dass wir uns alle (endlich) besser verstehen.
Jana Hensel & Wolfgang Engler
Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein
Aufbau Verlag 2018
288 Seiten, 20 Euro
ISBN-10: 3351037341