Widersprüchlicher Weltverbesserer

Recht cineastisch Spezial: „Goldene Lola“ für „Gundermann“ von Andreas Dresen

Thomas Claer

Nein, diesen Film wollte ich eigentlich gar nicht sehen. Musikfilme sind eigentlich nicht so meine Richtung, zumal die Songs des stasiverstrickten DDR-Liedermachers und Baggerfahrers Gerhard Gundermann (1955-1998) bislang auch nicht gerade zu meinen großen Vorlieben zählten. Doch nun bin ich sehr froh, doch noch den Weg ins Kino „Casablanca“ in Adlershof gefunden zu haben, wo „Gundermann“ (D 2018) anlässlich der Preisverleihung am Wochenende noch einmal gezeigt wurde. Beinahe hätte man uns nicht mehr reingelassen. Eine lange Schlange von Interessenten stand vor dem Kino bis auf die Straße. Als wir mit leichter Verspätung eintrafen, hörten wir eine laute Stimme rufen: „Ich frage jetzt zum letzten Mal: Hat noch jemand Online-Tickets nicht abgeholt??“ Ja, das waren wir. Zum Glück hatten wir schon vorher gebucht. Seufzend und stöhnend lief die enttäuschte Menschenmenge auseinander, denn unsere beiden Karten waren die letzten verfügbaren.

Ob einem dieser Gundermann gefällt oder nicht, er ist eine hochinteressante Figur. Und mit ihm hat Regisseur Andreas Dresen auf seine leise unaufdringliche Weise auch gleich noch die ganze alte versunkene schäbige DDR-Welt wieder zum Leben erweckt. Wer eine möglichst genaue Vorstellung vom damaligen Leben jenseits des eisernen Vorhangs bekommen möchte, sollte unbedingt diesen Film sehen. Die Schauspieler wirken, wie so oft in Andreas-Dresen-Filmen, allesamt beinahe so echt wie in einem Dokumentarfilm.

Wer es schon immer unverständlich fand, wie ein sensibler Künstler, ein Weltverbesserer mit höchstem moralischen Anspruch, jahrelang seine Mitmenschen ausspionieren und an die Stasi verpfeifen konnte und sich hinterher dafür gar nicht richtig entschuldigen mochte, wird durch diesen Film zwar auch nicht unbedingt schlauer, denn die nachvollziehbaren Gründe dafür gibt es einfach nicht. Aber man blickt nach diesen über zwei Stunden doch mit anderen Augen auf all diese Dinge. Manches hat eine gewisse Logik und dann auch wieder nicht. Vieles ist Psychologie. Dieser hochreflektierte, belesene, immer wieder Karl Marx zitierende Dichter und Musiker Gundermann lebt in einer ganz eigenen Welt, in der Welt seiner Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen vor allem. Obwohl er so vieles in seiner Gesellschaft kritisch hinterfragt, glaubt er doch felsenfest daran, etwas Gutes zu tun, wenn er Fluchtwillige verrät.

Grandios dargestellt ist, wie stark sich Politisches, Privates und Künstlerisches im Leben dieses merkwürdigen Musikpoeten immer wieder gegenseitig beeinflusst. Seine künstlerisch besten Jahre hat er ausgerechnet während seiner aktiven Zeit als Stasi-Spitzel – und während seiner jahrelangen unglücklichen Liebe zur anderweitig verheirateten schönen Conny. Unzählige Lieder schreibt er für sie, bis sie dann doch noch zur Frau an seiner Seite wird. Felsenfest steht sie zu ihm, als er nach der Wende als Stasi-Informant enttarnt wird. Doch Gundermann selbst zerbricht daran und stirbt mit gerade erst 43 Jahren.

Gundermann
Deutschland 2018
Länge: 127 Minuten
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Laila Stieler
Darsteller: Alexander Scheer (Gerhard Gundermann), Anna Unterberger (Conny), Benjamin Krause (Wenni) u.v.a.

Veröffentlicht von on Mai 6th, 2019 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT CINEASTISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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