40 Jahre „Outlandos d‘Amour“

Scheiben vor Gericht Spezial: Das aufregende Debüt-Album von „The Police“ im Rückspiegel

Thomas Claer

Wenn eines Tages die Kanonisierung der Rock- und Popmusik endgültig abgeschlossen ist, wenn junge Menschen nicht mehr viel mit dem anfangen können, was ihre Urgroßeltern einst so in Wallung brachte, dann wird die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Kennern vermutlich als eine glänzende Epoche der Musikgeschichte voll überraschender und eruptiver Kreativität gelten. Besonders bemerkenswert könnte den Nachgeborenen dann die stilistische, aber auch rein quantitative Breite dieser Jugendbewegung erscheinen, die schließlich zur Massenkultur wurde. Denn hinter der „ersten Reihe“, den Beatles und Rolling Stones, Madonna oder auch Nirvana, gibt es eine solche Vielzahl exzellenter Vertreter dieses Genres zu entdecken, dass man damit, hat man sich erst einmal darauf eingelassen, wohl kaum jemals zum Ende kommt. Vor allem aber sind es mehrere britische Bands, die vehement ihren Platz in der „zweiten Reihe“ einfordern.

Ganz vorne mit dabei, neben The Cure, Depeche Mode oder The Smiths zum Beispiel, wären dann natürlich auch „The Police“. Nur unrettbare Ignoranten sehen in dieser fulminanten New Wave-Band, die ihre fünf LPs zwischen 1978 und 1983 veröffentlichte, allein die Jugendsünde des späteren Mega-Stars Sting. Zugegeben, in ihrer Spätphase mit gediegenen Songs wie „Every Breath You Take“ klangen sie schon fast so langweilig wie ihr Sänger und Bandleader in seiner anschließenden Solokarriere. Doch darum soll es hier natürlich nicht gehen, sondern um ihr explosives Frühwerk, insbesondere um ihre vor vier Jahrzehnten erschienenen ersten beiden Platten „Outlandos d‘Amour“ und „Regatta de Blanc“, die einen in ein ganz eigenartiges Klanguniversum entführen.

London, Ende der Siebzigerjahre. Ein wildes Sammelsurium musikalischer Einflüsse. Die Reggae-Musik aus den Einwanderervierteln mischt sich mit Punk und New Wave. Drei junge Männer in den Zwanzigern, Gitarre, Bass und Schlagzeug, nehmen sich von überall das Beste und zaubern daraus etwas, das die Welt noch nicht gehört hatte: den hohen, fast dissonanten Gesang von Sting, das atemberaubende Off-Beat-Reggae-Schlagzeug von Stewart Copeland und die schroffe Gitarre von Andy Summers. Vor allem aber auch jene simplen, eindrucksvollen Songtexte, die allesamt von jugendlicher Einsamkeit und Verlorenheit handeln…

Anfang der Neunzigerjahre besuchte ich in Bremen die gymnasiale Oberstufe und hatte dort als Zugezogener aus dem Osten keinen ganz leichten Stand. Es war verdammt schwer, sich in diesem Umfeld aus verwöhnten Großbürgerkindern und Stadtvillenbewohnern Respekt zu verschaffen, denn neben der richtigen Kleidung, je abgerissener, desto besser, zählte hier vor allem eines: der richtige Musikgeschmack. Und hier galt natürlich: je schräger, desto besser. Und noch dazu gab es auf dem Schulhof eine Vielzahl von Grüppchen, die eine jeweils ganz eigene Auffassung davon hatten. Auf eines aber konnten sich alle einigen, wenn an den Wochenenden in den Kellern der prächtigen Bürgervillen die Partys tobten, sobald nur jemand „sturmfreie Bude“ hatte: die Musik von „Police“. Alle waren so cool, so unnahbar, aber nie werde ich vergessen, mit welcher Inbrunst alles lauthals mitsang, sobald „So Lonely“ von „Police“ aus den Lautsprechern ertönte. Dieses Lied durfte auf keiner Party (die man damals auch gerne noch „Fete“ nannte) fehlen. Vor allem sein Mittelteil trieb das junge Partyvolk regelmäßig zur Ekstase, während die Lautstärke vom anfänglichen Pianissimo zum überschwänglichen Fortissimo anschwoll:

(…)
Lonely, I’m so lonely
I feel so alone
I feel low
I feel so
Feel so low
I feel low, low
I feel low, low, low
I feel low, low, low
I feel low, low, low
I feel low, low, low
I feel low, low, low
Low, I feel low
I feel low
I feel low
I feel so lonely
I feel so lonely
I feel so lonely, lonely, lonely, lone
Lone, lone, lone
I feel so lonely
So lonely
So lonely
So lonely
(…)

Darin konnten sie sich, so denke ich mir heute, wohl alle selbst wiedererkennen. Nur in dieser Musik war es ihnen möglich, sich zu öffnen und aus ihrem mentalen Panzer aus Coolsein und Posieren einmal ausbrechen. So wie es ja auch im Refrain eines anderen großen Songs von „Police“ heißt: „Sending out an SOS“.

The Police
Outlandos d‘Amour
A & M Records (Universal Music) 1979

Veröffentlicht von on Jun 10th, 2019 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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