Deutsche Juristenbiographien, Teil 26: Ernst Forsthoff
Matthias Wiemers
Der wohl bekannteste Schüler Carl Schmitts wirkt bis heute durch seinen Begriff der „Daseinsvorsorge“. Ernst Forsthoff darf gewiss zu den bedeutendsten Vertretern des Öffentlichen Rechts in Deutschland im 20. Jahrhundert gerechnet werden. Er hat Debatten ausgelöst, war umstritten nicht nur in seinem Wirken in der frühen Bundesrepublik, und stilisierte sich zum Ende seines Lebens als „Der unbequeme Jurist“.
Ernst Forsthoff wird am 13. September 1902 in Laar, das heute zu Duisburg gehört, als Sohn des konservativen protestantischen Pfarrers Heinrich Forsthoff geboren. Ein im Jahre 1910 geboren Bruder stirbt wenige Wochen nach der Geburt, und so wächst August Wilhelm Heinrich Ernst als Einzelkind auf, seit 1906 im nahe gelegenen Mühlheim an der Ruhr. Nach einem Volksschulbesuch absolviert Ernst von 1912 bis 1921 das staatliche Reformgymnasium und beginnt danach in Freiburg das Studium der Rechtswissenschaft. Ein Jahr später erfolgt der Wechsel nach Marburg, ein Semester später zurück für ein Semester nach Freiburg und von dort zum Sommersemester 1923 nach Bonn. Die Universität Bonn ist, wie aus zahlreichen Juristenbiographien bekannt ist, eine beliebte Station zur Examensvorbereitung, und natürlich war es ratsam, in Preußen das Erste Staatsexamen zu absolvieren, wenn man anschließend auch in Preußen als Referendar ausgebildet werden wollte. Bereits im Juni besteht Forsthoff das Erste Staatsexamen am OLG Köln mit dem Prädikat „gut“. Ein Jahr später folgt, in Bonn die Promotion, und im März 1928 in Berlin bereits das Assessorexamen, allerdings nur mit der Note „ausreichend“. Danach tritt Forsthoff in den preußischen Justizdienst ein, von dem er sich allerdings alsbald zum Zweck der Promotion wieder beurlauben lässt.
Spätestens an dieser Stelle muss auf eine weitere Person eingegangen werden, die für die Entwicklung des jungen Forsthoff relevant gewesen ist: Carl Schmitt. Die erste Begegnung der beiden erfolgt in der Übung im Öffentlichen Recht im Sommersemester 1923. Forsthoff ist nach dem Zweiten Weltkrieg noch gelegentlich auf diese Begegnung zu sprechen gekommen. Bereits Ende dieses Semesters erhält Forsthoff von Schmitt das Thema seiner Doktorarbeit, die er dann bereits im Februar 1925 bei diesem einreicht. Nach der Bewertung durch Schmitt mit „sehr gut“ erfolgt die mündliche Prüfung schon am 27. Februar. Doktoranden der Gegenwart können von solchen Zeitspannen nur träumen. Thema der Arbeit war „Der Ausnahmezustand der Länder“, die im Bundesstaatsrecht spielt. Forsthoff war zwar Mitglied des Schmitt´schen Seminars, aber nie sein Assistent und war auch daran gehindert, sich bei ihm zu habilitieren, weil Carl Schmitt zum Sommersemester 1928 einen Ruf an die Handelshochschule Berlin annimmt, die über kein Habilitationsrecht verfügt. Zwar wird die Habilitationsschrift „Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat“ in Bonn angefertigt, aber eine Betreuung durch Schmitts Nachfolger Richard Thoma scheitert ebenso wie die Einreichung der Arbeit in Marburg, wo man keinen weiteren Privatdozenten im öffentlichen Recht zu benötigen meint. Als Forsthoff jedoch am 18. Januar 1930 Schmitt in Berlin besucht, wo dieser den Öffentlichen Vortrag am Tag der Reichsgründungsfeier hält, wird über das Problem der Habilitation gesprochen, worauf sich Schmitt telefonisch mit Rudolf Smend, seinerzeit Professor an der Berliner Universität, bespricht und jener die Übernahme der Angelegenheit durch den Freiburger Ordinarius Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein arrangiert.
Bereits am 2. Mai kann Forsthoff seine Probevorlesung zum Thema „Verfassungsschranken der Steuergesetzgebung“ halten, worauf ihm die venia legendi für Staatsrecht, Allgemeine staatslehre und Verwaltungsrecht erteilt wird.
Nach einer sodann aufgenommenen Lehrtätigkeit in Freiburg, die von einem badischen Landesstipendium finanziert wird, erfolgt bereits kurz nach Machtübernahme der Nationalsozialisten ein Ruf an die Universität Frankfurt am Main, wo Forsthoff den Lehrstuhl des emigrierten Hermann Heller übernimmt, im Sommersemester zunächst in Vertretung, ab dem Wintersemester aufgrund eines Rufs. Zu dieser Berufung hat sicherlich Forsthoffs noch im Sommer 1933 erschienene Schrift „Der totale Staat“ beigetragen, die allerdings in ihrer ersten Auflage auf der Linie seiner konservativ geprägten frühen Schriften liegt und die erst in ihrer Neuauflage im Folgejahr deutlich systemangepasste Züge trägt. Mehr noch dürfte allerdings für den Ruf die Intervention seines Lehrers Schmitt im preußischen Wissenschaftsministerium maßgeblich gewesen sein. Frosthoff betätigt sich personalpolitisch im Sinne des neuen Regimes. Das Eintreten für den Staat weckt den Argwohn etwa Alfred Rosenbergs, der sie im „Völkischen Beobachter“ kritisiert. Von seinem Etatismus in der ersten Auflage nimmt Forsthoff nun weitgehend Abstand.
Bereits 1935 wechselt Forsthoff an die Universität Hamburg, die ebenfalls eine junge, von der Bürgerschaft gegründete Universität ist und wendet sich ab diesem Jahr mehr und mehr der Verwaltung und dem Verwaltungsrecht zu. Hier nimmt er etwa die zunehmende Vermischung von öffentlichem und privatem Recht und die Entwicklung des Interventionsstaats wahr. Bereits ein Jahr später erfolgt der Wechsel nach Königsberg, wo Forsthoff vor allem seine wichtige Schrift „Die Verwaltung als Leistungsträger“ (1938) vorlegt, worin der Begriff der „Daseinsvorsorge“ als ein beschreibendes Element des tatsächlich stattgefundenen Wandels eines Eintritts des Staates in immer weitergehende Bereiche des privaten Lebens und – diesem korrespondierend, der juristische Begriff der Daseinsverantwortung des Staates herausgearbeitet werden. Dieser ist auf Teilhabe und Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit gerichtet.
Den 1942 erfolgten Ruf nach Wien, den Forsthoff durchaus angestrebt hat, weil er mit seiner vielköpfigen Familie im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wieder nach Westen gelangen will, folgt er zwar, bekommt aber dort weder eine angemessene Wohnung, noch darf er tatsächlich sein Lehramt ausüben, weil u. a. der Wiener Gauleiter Baldur von Schirach dem entgegensteht. Denn Ernst Forsthoff ist im Laufe der Zeit beim Regime, von dem er sich bereits seit 1935 innerlich entfernt hat, in Ungnade gefallen. Bereits ein Jahr später erfolgt der Ruf nach Heidelberg, nach kurzem Kriegsdienst.
Nach dem Ende des Krieges wird Forsthoff zunächst 1945 entlassen und erhält erst im Jahre 1952 wieder einen Heidelberger Lehrstuhl, nachdem er mehrere Jahre nur als Lehrbeauftragter tätig gewesen ist und auch zwei Jahre für den ersten Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten Theodor Steltzer in der Kieler Staatskanzlei tätig war. Steltzer war selbst Mitglied der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis und zudem mit Bezügen zum 20. Juli 1944. Zum Umfeld des 20. Juli hatte nachweislich auch Forsthoff Kontakt.
Im Jahre 1950 erscheint die erste Auflage des „Lehrbuch des Verwaltungsrechts. Erster Band. Allgemeiner Teil“ im Verlag C. H. Beck, das bis 1973 weitere neun Auflagen erleben soll und in dem auch Teile seiner Schrift über die Daseinsvorsorge enthalten sind.
Im Laufe der Jahre seines Erscheinens will Forsthoff seinem bis heute bedeutenden Lehrbuch immer einen Besonderen Teil an die Seite stellen, den er auch konzipiert und in Teilen schreibt, der aber in seinem Nachlass verbleibt. Denn nicht nur muss Forsthoff unter dem Eindruck der Verfassungs- und Gesetzesentwicklung sein zu weiten Teilen bereits während des Krieges geschriebenes Buch signifikant umschreiben. Die seit Anbeginn der Bundesrepublik Deutschland ständig anschwellende Staatstätigkeit, der sich Forsthoff auf der Staatsrechtslehrertagung 1953 in Bonn noch insoweit entgegen stellt, als er den nur adjektivisch im Grundgesetz gebrauchten Sozialstaat als solchen, nämlich als juristisches Staatsstrukturprinzip, nicht anerkennen wollte, erlaubte es ihm nicht, diese unter Weiterentwicklung seiner in den 1930er Jahren entwickelten Konzeption in einem Besonderen Teil adäquat zu erfassen.
Von 1960 bis 1963 fungiert Forsthoff, für zweieinhalb Jahre als Präsident des Verfassungsgerichts der Republik Zypern und wird 1967 vorzeitig emeritiert.
Seinem Lehrer Schmitt, von dem er sich während des Dritten Reichs entfernt hat, nähert sich Forsthoff nach dem Krieg allmählich wieder an. Dem Briefwechsel der beiden ist zu entnehmen, dass sie sich in einer Rolle von Verfolgten sehen, wobei gerade Forsthoff letztlich ein Verteidiger des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts bleibt und sich etwa in der Festschrift zum 70. Geburtstag seines Lehrers auch gegen „Die Umbildung des Verfassungsgesetzes“ wendet.
Carl Schmitt ist auch einer der häufigsten Besucher der berühmten Ferienseminare, die Forsthoff in der Zeit von 1957 bis 1971 jährlich mit einer Reihe von Kollegen, Freunden und vor allem Schülern in Ebrach im Steigerwald durchführt. Die Seminare dauern bis zu zwei Wochen und werden von Forsthoff aus dem Erlös von Gutachtenaufträgen finanziert. Eine der drei Festschriften für Forsthoff ist speziell den Erträgen dieser Tagungen gewidmet.
Der zuletzt gesundheitlich sehr eingeschränkte Forsthoff publiziert 1971 sein letztes eigenständiges Buch „Der Staat der Industriegesellschaft“, das auch heute noch lesenswert ist. Darin wird der Versuch unternommen, an die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sowie de Staat als Freiheitsgaranten zu erinnern. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Freiheitsgefährdungen durch die internationalen und vorwiegend privaten „Datenkraken“ heute wieder lesenswert.
Als Schüler Forsthoffs können gelten Wilhelm Grewe, Georg-Christoph von Unruh, Roman Schnur, Hans-Hugo Klein, Willi Blümel und Michael Ronellenfitsch, ebenso Karl Zeidler. Blümel unterstützt Forsthoff bei seiner Arbeit in Nikosia, und Ronellenfitsch, heute noch Landesdatenschutzbeauftragter in Hessen, war 1974 sein letzter Doktorand. Seit vielen Jahren Wittwer, stirbt am 13. August 1974 in Heidelberg.
Forsthoffs hinsichtlich der Zahl der eigenen Schüler bedeutenster Schüler Karl Doehring, der ihm auf seinem Heidelberger Lehrstuhl folgt, hält es für „zu oberflächlich“, Ernst Forsthoff als „konservativ“ einzuordnen. Blickt man auf Forsthoffs Bemühen, die namentlich seit der Verstaatlichungswelle im Rahmen des Ersten Weltkriegs ausgreifende Staatstätigkeit juristisch zu erfassen, so kann man Doehring insoweit zustimmen, als dass er sich von dem Umbruch des Jahres 1933 mitziehen ließ und zu spät bemerkte, dass die Nazis keine Freunde des Staates waren.
Quellen:
Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011
Karl Döhring, Ernst Forsthoff, in: Juristen im Portrait, S. 341 ff., München 1988
Mußgnug/Mußgnug/Rheintal (Hrsg.), Briefwechsel Ernst Forsthoff/ Carl Schmitt, Berlin 2007