Drei von vier Autoren eines neuen Kommentars sind Rechtsanwälte
Matthias Wiemers
Das Schicksal von Aktenstücken in der öffentlichen Verwaltung ist eigentlich vorgezeichnet. Sie werden genutzt und gegebenenfalls eine zeitlang in der Behörde aufbewahrt. Hierfür gibt es entweder gesetzliche Regeln, und/ oder die Behörde ist dazu angehalten, eine Frist zu bestimmen, nach deren Ablauf Papierakten (sicher) vernichtet und elektronische Akten gelöscht werden. Ebenfalls sicher.
Schließlich gibt es aber auch noch eine weitere Frage, die sich die Nutzer von Akten stets stellen müssen: Muss ich diese Akte(n) nicht nach Ablauf der eigenen Aufbewahrungsfrist in ein öffentliches Archiv geben? Von allen diesen öffentlichen Archiven ist sicherlich das Bundesarchiv mit seinem Hauptsitz in Koblenz das bekannteste. Daneben unterhalten die Länder Archive und werden diese ergänzt durch solche Archivstätten, die an die Stelle der behördlichen Archive treten können, etwa die so genannten Wirtschaftsarchive, die in den Ländern auf vereinsrechtlicher Grundlage existieren.
Es ist deshalb besonders zu begrüßen, wenn nun drei Rechtsanwälte und ein Referatsleiter im Bundesministerium des Inneren in der schön kompakten Reihe „Nomos Kommentare“ eine handliche Kommentierung des Bundesarchivgesetzes vorgelegt haben, die auch Bezüge zu den Landesarchivgesetzen aufweist. Hier bestand eine echte Lücke, obwohl es natürlich auch bisher schon Literatur zum Archivwesen gab. Der Kommentar ist eine Reaktion auf die Novelle des Bundesarchivgesetzes von 2017. Der Herausgeber kritisiert zu Beginn, dass das Gesetz bis heute keinen Gesetzeszweck aufweise und fährt dann mit einer geradezu zynischen Bemerkung fort: „Ein politisch öffentlich vertretbarer Zweck wäre wohl zu sehr durch den Gesetzestext konterkariert worden.“ Eine Gesetzesbegründung, der man nur zustimmen kann, liefert Partsch sodann gleich nach: „Die Legitimierung eines Archivs ergibt sich aus den Aufgaben, die es erfüllen soll und ob es dazu in der Lage ist. Die Aufgaben der Archive haben sich in den vergangenen Jahrhunderten entscheidend verändert. Nach neuerer Auffassung leitet sich die Legitimierung eines Archivs im demokratischen Rechtsstaat aus dessen Funktion zur Erinnerung und als Gedächtnis seiner Vorgänge und seiner Verfahren und der damit verbundenen Verantwortungszuordnung ab.“ (Einleitung, Rdnr. 1) Dem kann man nur zustimmen. Auch wenn man in der Transparenz nicht das Allheilmittel für die zeitgenössische Verwaltungskontrolle erblicken mag (so aber etwa Bernhard Wegener in seiner Habilitationsschrift „Der geheime Staat“, krit. Wiemers, Quo vadis, Verbraucherinformationsgesetz?, ZLR 2009, S. 413-437), so muss doch spätestens nach Abschluss von Regierungsperioden den Inhabern der Macht die Möglichkeit genommen werden, auch noch die Geschichtsschreibung in ihrem Sinne zu manipulieren. Archive können getrost im Sinne von Partsch als „Stätte(n) der demokratischen Vergewisserung eines Rechtsstaats“ verstanden werden.
Insgesamt liefert der Herausgeber, der grundsätzlich zu einer weiteren Auslegung der Zugangsrechte zu Informationen aus öffentlichen Quellen neigt, eine vorzügliche Einordnung in den historischen Kontext und eine umfassende Überblicksdarstellung zu den relevanten, das Archivrecht umgebenden Rechtsquellen.
Es folgen die Einzelkommentierungen durch die vier Bearbeiter. Mehr als die Hälfte des Bandes wurde für Anlagen verwandt, von denen die Landesarchivgesetze wiederum nur einen Teil ausmachen. Enthalten ist auch das Bundesarchivgesetz sowie der Gesetzesentwurf mit Begründung. Auch der Antrag zum Bundesarchiv ist beigefügt (Anlage 6), wie auch das Gebühren- und Kostenverzeichnis (Anlage 7). Auch wenn der Band keine Kommentierung der einzelnen Landesrechte bietet, so ist der Abdruck dieser Vorschriften schon allein dadurch gerechtfertigt, dass gem. § 7 des Bundesgesetzes die öffentlichen Stellen des Bundes Unterlagen von nachgeordneten Stellen des Bundes, deren örtliche Zuständigkeit sich nicht auf den gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes erstreckt, auf Vorschlag des Bundesarchivs mit Zustimmung der zuständigen obersten Bundesbehörde dem zuständigen Landes- oder Kommunalarchiv zur Übernahme anzubieten haben, wenn die Vorgaben der §§ 6 und 10 bis 14 sichergestellt sind.
Etwas unbefriedigend ist der Umgang des Kommentars mit elektronischen Registern bzw. ganz allgemein mit elektronisch erfasstem Archivgut. Wenn sich der Gesetzgeber der Sache schon nicht annimmt, hätte sich zumindest eine Kommentierung mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Im Rahmen seiner Kommentierung des § 6, bei den Löschungsvorschriften nach § 6 Nr. 2, der u. a. Unterlagen von der Anbietungspflicht an das Bundesarchiv ausnimmt, die „vernichtet oder gelöscht“ werden müssen, hätte sich Partsch nach hiesiger Auffassung auch tiefer mit der Frage auseinandersetzen müssen, was eigentlich mit elektronischen Akten oder elektronisch kopiertem Archivgut („gescanntes Material“) zu geschehen hat.
Aber es könnte auch sein, dass dies deshalb nicht erfolgte, weil es als selbstverständlich erschien. Weil man nämlich sagen könnte, das „elektrifizierte“ Gut sei an die Stelle des Papiers getreten. Dem Rezensenten will es aber scheinen, dass schon der Gesetzgeber der Frage ausdrücklich nachgehen müsste, ob auch unter den hier von Partsch sorgfältig herausgearbeiteten Zielen einer öffentlichen Archivierung die Substitution von Papierakten durch elektronische Aufbewahrung auf irgendwelche Bedenken stößt. Bei dieser Gelegenheit könnte sich der Gesetzgeber gewissermaßen „ehrlich machen“ und dem Gesetz endlich eine ausdrückliche Zweckbestimmung einfügen.
Dr. Christoph J. Partsch (Hrsg.), Bundesarchivgesetz. Handkommentar, Nomos Verlag, Baden Baden 2019, 634 S., 69 Euro ISBN 978-3-8487-5294-2