Justament-Autor Thomas Claer über „Fridays for Future“
Es ist Freitag. Und diesmal sind auch wir mit dabei. Wir quetschen uns in den von bunt geschmückten Schülern überfüllten Regionalexpress, der um zwanzig vor zwölf von unserem S-Bahnhof zum Hauptbahnhof fährt. „Es kommt immer auf den einzelnen Lehrer an“, sagt ein junges Mädchen zu seiner Begleiterin, „aber unsere Direktorin am ‚Gottfried Keller‘ entschuldigt das grundsätzlich nicht.“ Trotzdem sind wohl mehr als jemals zuvor zu den Schülerprotesten gekommen, die an diesem Tag auch noch vom weltweiten „Streiken fürs Klima“ aller Altersgruppen begleitet werden. Mit den Menschenmassen werden wir über die Spreebrücke in Richtung Brandenburger Tor geschoben. Überall sieht man selbstgemalte Plakate. „Muttermilch ohne Mikroplastik!“, hat eine junge Frau, die ihren Säugling auf dem Arm trägt, auf ihr Transparent geschrieben. Eine ältere Dame streckt ein Schild mit der Aufschrift „Omas for your Future“ in die Höhe. Auch diverse Berufsgruppen haben sich positioniert, von „Hebammen for Future“ bis zu „Lehrer for Future“. Wir hören hochemotionale Ansprachen, die immer wieder von tosendem Applaus unterbrochen werden. Neben uns interviewt ein ZDF-Filmteam einen Herrn im grauen Anzug. Wir erkennen Bernd Riexinger von der Linkspartei. An mehreren Ständen gibt es Flyer und Aufkleber für mehr Klimaschutz. Gleich soll Carola Rackete sprechen, die Kapitänin des Flüchtlingsrettungsschiffs aus dem Mittelmeer, aber ihre Rede wird immer wieder verschoben.
Dieses Bad in der Menge der Gleichgesinnten gibt offenbar allen Beteiligten ein Gefühl der Erhabenheit, das auch uns ein Stück weit erfasst hat. Jahrzehntelang musste ich mich in meiner Generation und vor allem auch unter Jüngeren als weitgehender Flugvermeider und beinahe Auto-Hasser wie eine notorische Spaßbremse fühlen. Und nun das. Jedoch steigen, wenn ich die vielen Familien mit kleinen Kindern sehe, dann doch allerhand Bedenken und Fragen in mir hoch, auf die ich keine Antworten finde. Darf man kleine Kinder so für politische Zwecke instrumentalisieren? Auf Pegida-Demos z.B. empfindet man so etwas doch zurecht als besonders abscheulich. Und werden diese engagierten Menschen, die sich doch nach allen soziologischen Erkenntnissen vorwiegend aus der gehobenen und gebildeten bürgerlichen Mittelschicht rekrutieren und dadurch nachweislich einen besonders tiefen ökologischen Fußabdruck hinterlassen, nun plötzlich alle ihren Lebensstil völlig umkrempeln? Werden sie nun allesamt auf den gediegenen Flugzeug-Familienurlaub am Mittelmeer verzichten und stattdessen mit dem Fahrrad an die Mecklenburgische Seenplatte fahren? Werden sie jetzt statt der gesunden, aber ökologisch desaströsen Avocados aus Südamerika lieber regionalen Beelitzer Spargel essen?
Neben uns packt ein Mann im Mehr-Klimaschutz-T-Shirt seine mitgebrachten Brote aus. Sie sind ausgerechnet in Aluminium-Folie eingewickelt. Also das geht ja nun gar nicht!! Aber andere mit moralisch erhobenem Zeigefinger belehren wollen, das wäre im Zweifel noch schlimmer. Wir sagen also nichts dazu und wissen: Es gibt noch viel zu tun!