Halloumi-Mann

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

für mein Leben gern esse ich Halloumi, diesen mediterranen Grillkäse, der in vielen türkischen und arabischen Imbissläden in Berlin im Fladenbrot und mit Gemüse verkauft wird. Das beste Halloumi-Sandwich Berlins aber entdeckte ich vor gut und gerne zehn Jahren im U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg – zum unschlagbaren Preis von gerade einmal 2,50 Euro. In diesem kleinen Imbissladen drehte sich am Kebap-Spieß mit dem Fleischberg stets noch allerhand Gemüse: Paprika, Aubergine, Zuchini, Kartoffel. Und dieses wanderte dann direkt vom Grill ins Fladenbrot zum Döner-Fleisch, Falafel oder eben auch zum frisch frittierten Halloumi-Käse. Dazu noch hausgemachte Knoblauch-Sauce und Salat – fertig war das Essen à la bonheur. Allerdings muss ich zugeben, dass mich auch die große Menge, die einem dort serviert wurde – regelmäßig platzte das vollgepfropfte Fladenbrot beim Essen auseinander – sehr begeistert hat. Nichts finde ich nämlich schlimmer, als wegen zu kleiner Portionen nicht richtig satt zu werden.

Doch es gab ein Problem in diesem Imbiss-Laden, und das war der Inhaber. Dieser schmächtige türkische Kurde mittleren Alters redete, während er seine leckeren Speisen zubereitete, pausenlos, so wirkte es zumindest anfangs auf mich, wirres und unzusammenhängendes Zeug mitunter empörenden Inhalts. Er schien eine besondere Begabung dafür zu haben, seine Kunden vor den Kopf zu stoßen. In bestem Türken-Deutsch, wie man es aus dem Kabarett kennt, rief er mir, als ich mit meiner koreanischen Frau seinen Laden betrat, mit fröhlichem Gesicht entgegen: „Hast du Frau aus Katalog gekauft? Hahahaha.“ Nun ist ein Döner-Imbiss nicht unbedingt ein Ort für politische Grundsatzdiskussionen. Auch weil wir beide ziemlichen Hunger hatten, sagten wir nichts und guckten ihn nur böse an. Ich beschloss aber, nie wieder etwas bei einem solchen Rassisten zu kaufen.

Weil es mir aber so außergewöhnlich gut geschmeckt hatte, ging ich nach einiger Zeit doch noch einmal hin, diesmal alleine. Vor mir stand ein dunkelhäutiger Junge mit seinen hellhäutigen Freunden. Da sagte der Döner- und Halloumi-Mann zum schwarzen Jungen: „Hier für dich: Afrika-Paprika. Lecker!!“ Und er setzte sogar noch eins drauf: „Kommst du aus Afrika? Aus Urwald? Umba-umba? Hahaha“ Er sagte das mit einem so freundlichen Lächeln, dass ich zu seinen Gunsten anzunehmen geneigt war, dass er es wohl nicht böse meinte, sondern offenbar einfach nur vollkommen auf Kriegsfuß mit jeder politischen Korrektheit stand. Vorbeiziehenden Fußballfans schmetterte er ein fröhliches „Heil Hitler!“ entgegen.

Bei späteren Besuchen – sein Halloumi war einfach zu gut, um fortan darauf verzichten zu können – erlebte ich dann aber, dass er auch charmant sein konnte. Wenn jüngere Frauen etwas bestellten, empfahl er ihnen gerne, auch Zwiebeln dazu zu nehmen: „Weißt du, warum? Zwiebeln machen schönes Gesicht. Aber eigentlich brauchst du nicht. Hast du schon.“ Das hörte natürlich jede Kundin gerne… Auch stellte er überraschende Sprachkenntnisse unter Beweis, indem er seine Gäste auf Chinesisch, Russisch, Arabisch und in weiteren Sprachen begrüßte.

Als ich wieder einmal mit meiner Frau vorbeischaute, die sein Halloumi ebenfalls schätzte (was etwas heißen will, da sie sonst beim Essen nur sehr schwer zufriedenzustellen ist), erkundigte er sich freundlich nach ihrer Herkunft. Korea? Das kenne er, denn in seiner Kirchgemeinde in Reinickendorf seien auch koreanische Christen. Er selbst sei aramäischer Christ. Er gab uns einen Tee aus, schließlich hatten wir auch sein Essen sehr gelobt. Von nun an nannte er mich Chef und meine Frau Chefin, und als Stammkunden bekamen wir zum Halloumi jedes Mal einen köstlichen türkischen Tee spendiert. Manchmal spielte er kurdische Musik und erzählte vom wilden Kurdistan. Sein Verhältnis zum türkischen Präsidenten brachte er auf die von ihm unablässig wiederholte Kurzformel: „Erdogan – böser Mann, Böhmermann – guter Mann!“

Irgendwann hatte er eine Assistentin im Laden, eine junge Frau aus Kambodscha. Die gab ihm reichlich Contra, wenn er wieder unkorrekte Dinge sagte. „Was redest du da wieder?!“ fuhr sie ihn dann an. Und er antwortete dann mit breitem Grinsen: „Ich liebe alle Menschen!!“ Sie muss ihm wohl mit der Zeit eine Art Grundverständnis von politischer Korrektheit vermittelt haben, denn seine unbedachten Äußerungen nahmen nun deutlich ab.

Einmal erlebte ich, wie er mit sorgenvollem Blick in Begleitung eines grauhaarigen Herrn in Aktenordnern blätterte. Ein anderes Mal wirkte er, der sonst immer so gut gelaunt und aufgedreht war, vollkommen niedergeschlagen. Als wir uns nach dem Grund erkundigten, erzählte er uns: „Neuer Kollege war nur paar Wochen hier, dann weggelaufen und hat ganze Kasse mitgenommen.“ Mit der Zeit machte er immer häufiger einen traurigen Eindruck. Das Geschäft lief offenbar nicht so gut. Ich tröstete ihn, indem ich ihm sagte, dass er das beste Halloumi in ganz Berlin mache, was ja auch wirklich stimmte. Zumindest gab es nirgendwo sonst so wohlschmeckendes Gemüse dazu. Er freute sich über mein Lob. Doch dann rechnete er mir vor: „Haben wir 350 bis 400 Euro Umsatz am Tag, aber brauchen 600, besser 800 Euro. Sonst machen Minus. Muss ich zahlen Miete für Laden und für Angestellte.“

Wie kann es nur sein, fragten wir uns, dass er bei einer so herausragenden Qualität seines Essens nicht über die Runden kommt? Verglichen mit dem berühmten „Mustafas Gemüsekebap“ in Kreuzberg mit der ewig langen Touristen-Schlange war sein Essen wirklich um Längen besser. (Bei Mustafa schmeckt es nämlich wirklich nicht besonders, und man muss dort ewig warten, bis man mal an der Reihe ist.) Auch als lustiger Sprücheklopfer hätte er es locker mit Mustafa aufnehmen können. Die Geschäftswelt ist wirklich sehr ungerecht, fanden wir. Irgendwann war der Halloumi-Mann nicht mehr im Laden zu sehen. Die Kambodschanerin spendierte uns weiterhin einen Tee, wenn wir kamen. Aber neben ihr stand jetzt ein junger Mann, der auf ziemlich unverschämte Weise mit ihr sprach. Wenn sie ihn kritisierte, antwortete er nur: „Das ist hier der Laden von meinem Onkel. Du hast mir gar nichts zu sagen.“

Nach einigen Monaten waren auch der junge Mann und die Kambodschanerin nicht mehr da. Der Laden wurde renoviert und wird seitdem von einem Araber weitergeführt. Zu unserer Freude hat er aber kaum etwas am Angebot verändert, nur die Preise etwas angehoben. Der Döner-Spieß heißt jetzt Schawarma, das vorzügliche aufgespießte Gemüse ist geblieben. Das Halloumi für nun 3,50 Euro, was noch immer sehr moderat ist, schmeckt ähnlich gut wie früher. Auch die Menge hat er so gelassen. Der Araber ist schüchtern, redet nicht viel. Aber er kennt uns inzwischen auch als Stammkunden und gibt uns manchmal einen Tee aus. Neuerdings hat er einen Pizza-Ofen angeschafft und macht ziemlich leckere Pizza mit gegrilltem Gemüse vom Schawarma-Spieß. Einmal war eine Frau im Laden und fragte: „Wird man hier nicht in vielen Sprachen begrüßt?“ Das hätte sie mal gehört. „Nur auf Deutsch und Arabisch“, antwortete der Araber verständnislos. Ich konnte sie dann darüber aufklären, dass sie offenbar den vorigen Betreiber meinte. Ob er denn wisse, fragte ich bei dieser Gelegenheit den Araber, was der Kurde jetzt mache, dem der Laden vorher gehört hat. „Nein, keine Ahnung“, gab er zurück. Jetzt ist er der Halloumi-Mann, und wir bleiben seine Kunden.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Okt. 21st, 2019 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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