Vor 30 Jahren stürzten die Rumänen ihren kommunistischen Diktator Nicolae Ceaușescu – und dessen Ehefrau Elena gleich mit
Benedikt Vallendar
Ja, Nicolae Ceaușescu und seine Ehefrau Elena hätten noch einige Jahrzehnte leben können. Wären sie nicht fünf Tage vor ihrer Hinrichtung am 25. Dezember 1989 von einem Staatsbesuch im Iran nach Rumänien zurückgekehrt. Dort brodelte es bereits, nachdem Sicherheitskräfte in Timișoara an der Grenze zu Ungarn bei einer Kundgebung von Regimegegnern in die Menge geschossen hatten, mit am Ende mehreren Dutzend Toten. Der Aufstand begann in einer Kirche. Auslöser war der Widerstand der reformierten ungarischen Gemeinde gegen die Zwangsversetzung ihres Pfarrers László Tőkés gewesen, gegen die seit dem 14. Dezember 1989 Mahnwachen liefen. Der Aufstand von Timișoara war der Funke, der zum Flächenbrand führte und eine Ereigniskette in Gang setzte, die den Rumänen am Ende die lang ersehnte Freiheit bescherte.
Fragwürdiges Erbe
Und doch gibt es Zweifel. „Es ist eine relative Freiheit“, sagt Philipp Rasche (39), der als Deutscher seit mehr als zehn Jahren in Rumänien lebt und sich mit seiner Ehefrau Jenny in der Nähe von Sibiu um bedürftige Romakinder kümmert. „Ich würde sogar sagen, dass die Revolution vielen Menschen überhaupt nichts gebracht hat, da hier alles so ist, wie vorher“, sagt der gebürtige Sachsen-Anhaltiner und Vater von vier Kindern. Als Streetworker sieht er tagtäglich das Elend in den von ihm betreuten Romasiedlungen, wo Menschen ohne Strom und Wasser in verdreckten Hütten vor sich hinvegetieren. Das Problem: Damals wie heute sind die Roma nur Zuschauer bei dem, was in ihrem Land passiert.
Doch im Dezember 1989 war die Euphorie bei vielen Rumänen groß. In blutigen Kämpfen mit mehr als tausend Toten hatten sie die kommunistische Diktatur in ihrem Land beendet. Und bis heute debattieren Historiker und Publizisten, allen voran die österreichische Journalistin und Buchautorin Antonia Rados darüber, ob die rumänische Revolution ein Volksaufstand oder eine vom Geheimdienst angezettelte Revolte gegen die Machthaber gewesen ist. „Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte“, sagte der 2014 verstorbene Historiker Hagen Schulze von der FU Berlin schon zu Beginn der neunziger Jahre. Unbestritten war die Unzufriedenheit im Land am Vorabend der Revolution groß, und das nicht nur in der normalen Bevölkerung, sondern auch im Sicherheitsapparat, dessen mittlere und untere Chargen die Mangelsituation seit Beginn der 1980er Jahre immer mehr zu spüren bekamen. Von fehlendem Heizmaterial über Stromsperren bis hin zu leeren Ladentheken, gleichwohl die staatlich gelenkten Medien Rumäniens tagtäglich das Gegenteil behaupteten, und Ceaușescu als selbst ernannter „Conducator“ noch Anfang 1989 den „Import von zweitausend Rindern“ angekündigt hatte, um die Versorgungskrise zu lindern. In seinen Privaträumen fanden sich später tatsächlich die buchstäblichen Wasserhähne aus Gold, derweil sich seine Frau, eine gelernte Textilfacharbeiterin, mit einem Doktortitel in Chemie geschmückt hatte. Die Karriere der Diktatoren endete kläglich auf einem Gemüseacker, wo sie ein Hubschrauber abgesetzt hatte, bevor sie von Militärs verhaftet wurden.
Abschiedsfeier in Ost-Berlin
Doch das Töten ging weiter. Die rumänische Revolution war die blutigste in ganz Osteuropa. Viele von denen, die den Mut aufgebracht hatten, um ihr Land von der kommunistischen Tyrannei zu befreien, starben im Kugelhagel der Sicherheitskräfte, ohne dass die Fronten immer eindeutig waren, was typisch ist für einen Bürgerkrieg. Bezeichnenderweise wurden die meisten Menschen erst nach dem Sturz Ceausescus getötet.
Doch warum verlief die Wende nicht so friedlich und fast geordnet ab wie in der DDR, wo Erich und Margot Honecker ein ähnliches Schicksal, wie den Ceaușescus erspart blieb? Zweieinhalb Monate zuvor, am 7. Oktober 1989 hatten die roten Diktatoren im Ostberliner Palast der Republik noch zusammen den Gründungstag der DDR gefeiert. Im Nachhinein enpuppte sich die Feier als Abschiedsparty. Und 30 Jahre danach ist weiter unklar, was wirklich in Rumänien geschehen ist. Eine der deutschen Stasiunterlagenbehörde vergleichbare Einrichtung gibt es dort erst seit 1999. Das Land, das seit 2004 Mitglied der Europäischen Union ist, hat die Verantwortlichen noch immer nicht identifiziert und noch weniger zur Rechenschaft gezogen, was, nach Medienberichten, nun nachgeholt werden soll.
Schuldenfrei kollabiert
Trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten mit den Umbrüchen in anderen Ostblockstaaten weist die rumänische Revolution einige Besonderheiten auf. In Rumänien gab es am 22. Dezember 1989 keine „Wende“, sondern einen Staatsstreich, im Zuge dessen das Diktatorenehepaar Ceaușescu im Innenhof einer 80 Kilometer außerhalb von Bukarest gelegenen Kaserne ein gewaltsames Ende fand – medienwirksam inszeniert mit automatischen Waffen, nachdem die Totgeweihten bereits auf dem Flur mit Genickschüssen vom Leben zum Tode befördert worden waren, wie Augenzeugen später zu Protokoll gaben. Um der Weltöffentlichkeit eine im Gedächtnis bleibende Hinrichtung präsentieren zu können, wurden die Leichen medienwirksam vor eine Wand gelegt und anschließend losgefeuert, worüber es Videoaufzeichnungen gibt, ebenso von einem Militärarzt, der den Tod der beiden feststellen sollte. Und im Gegensatz zu anderen Ostblockstaaten war Rumänien am Abend der Revolution schuldenfrei, was die Bevölkerung allerdings mit hohen Entbehrungen bezahlen musste. Bis das Fass wenige Tage vor Heilig Abend überlief. Nicht wenige Historiker vertreten daher die These, dass sich hinter der vermeintlichen Revolutionsfront in Wirklichkeit Militärs und Geheimdienstleute verbargen, die die Ceausescus ermorden ließen, um sich selbst an die Macht zu putschen und bis heute im Hintergrund die Geschicke des als korrupt geltenden Landes bestimmen.
Literaturempfehlung:
Milo Rau
DIE LETZTEN TAGE DER CEAUSESCUS
Broschur, 272 Seiten, Verbrecher Verlag Berlin 2010, Preis: 13,00 €
ISBN: 978-39404-2645