Könige der Nacht

Vor 25 Jahren erschien „Dummy“, das Debüt der englischen Band Portishead

Thomas Claer

Es war eine ganz neue Art von Musik, die man so noch nicht gehört hatte. Damals, am Jahresende 1994, vor 25 Jahren, brachten zwei Männer und eine Frau aus dem südwestenglischen Bristol auf dem Go! Beat-Label ihre erste Platte heraus, die gleich auf Platz zwei der UK-Albumcharts sprang und von Musikjournalisten zum besten Album des Jahres gewählt wurde. Aus heutiger Sicht muss man wohl ergänzen, dass „Dummy“, das Debüt von Portishead, gut und gerne auch als beste Platte des Jahrzehnts durchgehen würde.
Als musikalischer Kopf der Formation gilt der Soundtüftler Geoff Barrow, den sie in der Musik-Szene von Bristol wegen seiner Herkunft aus einer sehr uncoolen Kleinstadt in der Umgebung alle nur „the guy from Portishaed“ nannten. (Welche Ironie ist es doch, dass diese Band mit ihrem revolutionären Sound nach dem unbedeutenden Vorort einer kaum 500.000 Einwohner zählenden Provinz-Stadt benannt worden ist. Man stelle sich nur einmal hierzulande eine Band mit dem Namen Delmenhorst oder Ilvesheim vor…)
Doch würde Geoff Barrow womöglich noch heute in der Elektro-Avantgarde-Szene von Bristol unbeachtet vor sich hinfrickeln, hätte er nicht eine Barsängerin namens Beth Gibbons getroffen und sie zur grandiosen Stimme seines Bandprojekts gemacht. Niemand konnte so hingebungsvoll klagend, so düster verraucht mit so schmerzverzerrtem Gesicht „Nobody loves me“ singen wie sie. Und dazu noch Barrows fein gewebter atmosphärisch-dichter Klangteppich mit seinen schwerfälligen Beats und simplen, aber eindrucksvollen Melodien. Keinesfalls jedoch kann man sich diese Musik an warmen Sommertagen in der Mittagshitze vorstellen. Nein, dieser traurige, verlorene Sound ist wie gemacht für die Nacht, für die einsamen Nächte insbesondere, Tom Waits 2.0 gewissermaßen.
Die Gattungsbezeichnung Trip-Hop, in Anlehnung an die von Portishead vielfach benutzten Techniken wie Scratching und Sampling, die man bislang nur aus dem Hip-Hop kannte, ist allerdings eine Erfindung von Musikjournalisten, die sich die Band nie zu eigen gemacht hat. Wenn schon, dann sprachen die Bandmitglieder vom „Bristol Sound“ – womit dann auch noch eine weitere englische Stadt mit ansonsten limitierter Bedeutung geadelt worden wäre…

Portishead
Dummy
GO! Beat 1994

Veröffentlicht von on Dez 30th, 2019 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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