Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
was ist ein Rechtsanwalt? „Eine in der Umgehung des Gesetzes geschulte Person.“ Und was ist Politik? „Ein Interessenkampf, der sich als ein Wettstreit von Prinzipien ausgibt.“ Sarkastische Definitionen dieser Art, das muss ich zugeben, sind ganz nach meinem Geschmack. Entnommen sind sie einem Exemplar des „Wörterbuchs des Teufels“ von einem gewissen Ambrose Bierce, das ich kürzlich in der Bücherbox bei uns um die Ecke entdeckt habe. Sogleich erinnerte ich mich daran, vor einigen Jahren eine von Burkhard Müller verfasste Rezension dieses Werkes in der Süddeutschen Zeitung gelesen zu haben. Doch konnte ich mich – vom einprägsamen Titel abgesehen – an keine weiteren Einzelheiten mehr erinnern. So vermutete ich in Ambrose Bierce aufgrund seines Namens zunächst einen französischen Aufklärungs-Literaten, womöglich einen Weggefährten Diderots – und lag damit vollkommen daneben. Nein, Ambrose Bierce (1842-1916), so belehrte mich Wikipedia, war ein amerikanischer Schriftsteller und Journalist, der hauptsächlich durch seine Schauergeschichten im Stile von Edgar Allan Poe Berühmtheit erlangte – und darüber hinaus auch die populäre schwarzhumorige Aphorismensammlung „Das Wörterbuch des Teufels“ verfasst hat, erstmals erschienen 1906 unter dem Titel „Wörterbuch des Zynikers“ und dann noch einmal in einer erweiterten Neuausgabe 1911. Nur einen kleinen Teil daraus enthalten die deutschen Übersetzungen, so auch jene mir in die Hände gefallene 1980 erschienene aus dem Inselverlag, die aber den Vorzug hat, mit einem erhellenden Nachwort von Dieter E. Zimmer versehen zu sein.
Viele der in alphabetischer Reihenfolge angeordneten Einträge, das wird einem bei genauerer Lektüre klar, sind zeitgebunden, manche nur schwer verständlich. Andere wiederum erscheinen einem zu umständlich, nicht pointiert genug. Aber eine ganze Reihe von ihnen wirken dann doch auch nach mehr als hundert Jahren noch bemerkenswert frisch: Was ist Fleiß? „Eine bestimmte nervöse Störung, die junge und unerfahrene Menschen befällt.“ Und was ist die Liebe? „Eine vorübergehende Geisteskrankheit, die entweder durch Heirat heilbar ist oder durch Entfernung des Patienten von den Einflüssen, unter denen er sich die Krankheit zugezogen hat. … Sie geht manchmal tödlich aus, aber häufiger für den Arzt als für den Patienten.“ Was ist die Ehe? „Eine Gemeinschaft, die aus einem Herrn, einer Herrin und zwei Sklaven besteht – was zusammen zwei ergibt.“ Was ist eine Braut? „Eine Frau mit vielversprechenden Glücksaussichten hinter sich.“ Und schließlich: Was ist Logik? „Die Kunst, in strenger Übereinstimmung mit den Grenzen und Handicaps des menschlichen Unverstandes zu denken und zu argumentieren.“ Schade, dass wir nie erfahren werden, was Ambrose Bierce zu manchen Stichworten aus unserer Zeit zu sagen gehabt hätte…
Dein Johannes