Das „Handbuch des Strafrechts“ beginnt mit der Erläuterung des Strafverfahrensrechts
Matthias Wiemers
Der renommierte juristische Verlag C. F. Müller hat über die Jahrzehnte offenbar Gefallen an hochwertigen Handbuchreihen gefunden. Nach dem „Handbuch des Staatsrechts“, dem „Handbuch der Grundrechte“ und dem „Handbuch Ius Publicum Europaeum“ zu Themengebieten des öffentlichen Rechts erscheint seit mehreren Jahren auch ein „Handbuch des Strafrechts“. Hieraus ist nun der Band 7 erschienen, der sich als erste von drei Bänden dem Strafverfahrensrecht widmet. Mit diesem Grundlagen-Band wird zugleich die engste Verbindung zum Verfassungsrecht und zur Rechtsgeschichte hergestellt. Dies macht ihn auch für den Nicht-Strafrechtler besonders interessant.
Im ersten Abschnitt über „Einordung und Grundlagen“ werden zunächst „Stellung und Grundlagen“ des Strafprozessrechts dargestellt, also zunächst aus der Systematik des einfachen Rechts heraus argumentiert. Schaut man in den Beitrag hinein, so wird aber deutlich, dass bereits hier das Verfassungsrecht eine herausragende Rolle spielt (Rsnr. 19 ff.). Im zweiten Kapitel werden dann „materielle Grundrechtsgewährleistungen und ihre Bedeutung für das Strafverfahren“ (§2) dargestellt, während § 3 den Prozessgrundrechten und ihrer Bedeutung für das Strafverfahren gewidmet ist.
Im zweiten Abschnitt geht es um „Die Entstehung des geltenden Strafprozessrechts“, die in drei Kapitel dargestellt wird. Die Entstehung der Reichsstrafprozessordnung und deren Weiterentwicklung bis zum Ende des Kaiserreichs“ (§ 4), die „Entwicklung des Strafverfahrensrechts von 1919 bis 1945 (§ 5) und „Entwicklungslinien im Strafprozessrecht der Bundesrepublik“ (§ 6) lauten die sinnvollen Periodisierungen.
Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit „Quellen und Geltung“, und bei den „Rechtsquellen des Strafverfahrensrechts“ (§ 7) werden von den verfassungsrechtlichen Normen über die Gesetze, europäisches Recht auch Verwaltungsvorschriften und Richterrecht vorgestellt.
Fazit: Ein sehr lesenswerter Band, der vielleicht gelegentlich geeignet ist, aus dem Nicht-Strafrechtler rückwirkend einen „Noch-Nicht-Strafrechtler“ zu machen. Hier wäre die Rückwirkung jedenfalls erlaubt.
Der „Geltungsbereich des deutschen Strafprozessrechts“ (§ 8). Es folgt ein erstes Kapitel zu „Grundstrukturen“, nämlich „Grundstrukturen des Prozessrechts, Verfahrensablauf sowie Theorie und Praxis des Strafverfahrens“ (§ 9). Dass damit der Abschnitt endet und der nächste Abschnitt in Gänze über „Grundstrukturen und Prozessmaximen“ handelt, macht die Abschnittseinteilung etwas fragwürdig. Aber natürlich ist es wichtig, dass „Offizial-, Anklage- und Legalitätsgrundsatz“ (§ 10), „Aufklärungsmaxime und freie Beweiswürdigung“ (§ 11), „Beschleunigungsgrundsatz und Konzentrationsmaxime“ (§ 12) sowie „Öffentlichkeit, Mündlichkeit, Unmittelbarkeit“ (§ 13) in diesem Band ausführlich behandelt werden. Blicken wir deshalb noch einmal in § 9 hinein, so finden wir darin jedenfalls teilweise Themen angesprochen, die in späteren Kapiteln wiederholt werden. Dies betrifft vor allem die Prozessbeteiligten, die sodann in Abschnitt 5 über „Die Verfahrensbeteiligten“ in mehreren Kapiteln noch einmal im Detail vorgestellt werden. Es beginnt mit „Strafgerichte. Stellung, Aufgaben, Ablehnung und Ausschluss von Gerichtspersonen“ (§ 14) über die „Gerichtszuständigkeit erster Instanz“ ( § 15), „Die Staatsanwaltschaft“ (§ 16), die „Strafverteidigung“ (§ 17), den Beschuldigten (§ 18) und „Das Opfer“ (§ 19). Im sechsten Abschnitt geht es um „Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse“. Darin werden zunächst „Grundlagen“ (§ 20) gelegt und sodann speziell „Befassungsverbote“ (§ 21) und „Bestrafungsverbote“ (§ 22) behandelt.
Im siebten und letzten Abschnitt des Bandes geht es um „Prozesshandlungen, Prozessstrukturen und prozessuale Fristen“, gegliedert in die Kapitel „Prozessgegenstand – Tat im prozessualen Sinn“ (§ 23), „Ne bis in idem und Strafklageverbrauch“ (§ 24), „Prozesshandlungen“ (§ 25), „Fristen im Strafverfahren“ (§ 26) bis hin zu „Entscheidungsformen“ (§ 27).
Die insgesamt 22 Autoren sind mit zwei Ausnahmen allesamt Professoren an deutschen Universitäten, darunter die bekannten Strafrechtspraktiker Thomas Fischer und Lutz Meyer-Goßner. Dieser hohe Wissenschaftleranteil entspricht dem im Vorwort des Bandes noch einmal unterstrichenen Anliegen des Handbuchs nach einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Auch wenn der Trierer Emeritus Hans-Heiner Kühne in seinem schon angesprochenen Beitrag über Theorie und Praxis des Strafverfahrens auch einen Blick auf die Praxis wirft, will der Band nach seinem Vorwort gerade ein Gegengewicht zu der von Praktikern dominierten Literatur darstellen. Dies ist den Autoren auch inhaltlich gelungen.
Fazit: Ein sehr lesenswerter Band, der vielleicht gelegentlich geeignet ist, aus dem Nicht-Strafrechtler rückwirkend einen „Noch-Nicht-Strafrechtler“ zu machen. Hier wäre die Rückwirkung jedenfalls erlaubt.
Hilgendorf/Kudlich/Valerius (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts. Band 7. Grundlagen des Strafverfahrensrechts, Heidelberg 2020, 1085 S. 260 Euro (ISBN 978-3-8114-8807-6)