Tobias Blasius und Moritz Küpper portraitieren Armin Laschet
Matthias Wiemers
Politiker schreiben gelegentlich Bücher, wobei sie diese mehr oder weniger schreiben lassen. Und nicht immer werden Mitautoren offengelegt. Diese Bücher erscheinen regelmäßig in Wahlkampfzeiten, denn der Bürger soll wahrnehmen, ob es Angebote auf dem politischen Markt gibt, die er als Wähler annehmen kann.
Neben den von Politikern selbst verantworteten Büchern gibt es solche, die über diese geschrieben werden. Auch hier stellt sich die Frage, von wem die jeweilige Initiative ausgegangen ist. Mit solchen Fragen geht man ein Leser sicher auch in die Lektüre einer neuen Biographie des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet, die in einer zeit erscheint, in der sich die CDU rechtzeitig vor dem Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr für einen neuen Parteivorsitzenden entscheiden muss.
Wie es bei Büchern, die eine geschichtliche Entwicklung, aber auch inhaltliche Schwerpunkte vermitteln sollen, üblich ist, haben die Autoren in den Kapiteln des Bandes Themen gefunden, die in einer geschichtlichen Entwicklung dargestellt werden. Die dadurch entstehenden Wiederholungen im Text sind sehr angenehm, wie auch insgesamt sich der Band sehr flüssig lesen lässt. Den einzelnen Kapiteln, die immer mit „Der…“ beginnen, sind ein Prolog und ein Epilog vor- bzw. nachgestellt.
Mit dem Prolog wird nicht nur ein Einstieg, sondern auch eine knappe Charakterisierung des Protagonisten versucht. Indem sein Weg in die CDU und zur Kandidatur zum Parteivorsitzenden skizziert wird, werden zwei wichtige Fragen aufgeworfen: „Wer ist dieser Armin Laschet wirklich und was treibt ihn an?“ (S. 12) und konkreter: „Kann in den höchsten Sphären der Bundespolitik, mithin auf der weltpolitischen Bühne, wirklich gut gehen, was auf Landesebene vielleicht noch einen gewissen Charme besitzt?“ (S. 13)
Dies sind in der Tat zwei Leitfragen, die sich auch der Leser stellen kann.
Der Band beginnt bereits treffend mit „Der Öcher“, worin Herkunft und Heimat Aachen dargestellt werden. Darin finden wir auch den Hinweis, der Bruder Laschets habe herausgefunden, dass die Familie direkt von Karl dem Großen abstamme (S. 37). Hat den Rezensenten eine entsprechende Pressenotiz überhaupt erst zur Lektüre des Bandes angeregt (als Ostwestfale darf er im historischen Kontext Karls des Großen als „Sachse“ gelten, den der „Sachsenschlächter“ Karl offenbar verschont hat.). Die Botschaft dieser Notiz könnte sein, dass der Protagonist auch familiär in Aachen wohl als etabliert gelten kann, was auch sonst im ersten Kapitel bestätigt wird. Man fühlt sich ein wenig an Konrad Adenauer erinnert, wenn man die Familie betrachtet, in die Laschet „eingeheiratet“ hat, auch bei Lektüre der nachfolgenden Kapitel, von denen das zweite den Untertitel „Nestwärme und karrierebewusster Clan“ trägt. Deutlich wird aber hier auch schon, dass die Familien beider Laschet- Eltern von jenseits der heutigen (deutsch-belgischen) Grenzen kommen und Laschet gewissermaßen bereits von Geburt an ein Europäer ist. Das dritte Kapitel befasst sich mit der journalistischen Tätigkeit Laschets, berichtet aber auch von den Erfahrungen als Jura-Student in München und Bonn. Mit einem Grundinteresse an Journalismus ausgestattet, knüpft der Protagonist offenbar in München die richtigen Kontakte, um eine journalistische Kariere anzustreben, wechselt aber bereits nach vier Semestern nach Bonn. Die Autoren beschreiben Laschet, der von Beginn an nach Bonn wollte, als ein Opfer der damaligen ZVS.
Dass die Autoren keine Jubelschrift verfasst haben, wird erstmals auf Seite 83 deutlich, wo über die biographische Eigendarstellung Laschets berichtet wird. Auch wird sodann von gleichzeitiger Tätigkeit als Journalist und für CDU-Bundespolitiker in Bonn berichtet, was – wie die Autoren einordnen – heute nicht mehr ohne weiteres möglich wäre. (S. 84) Wirklich nicht?
Durchaus kritisch wird auch geschildert, wie Laschet Chefredakteur der Aachener Kirchenzeitung und später auch Nachfolger seines Schwiegervaters in der Verlagsleitung wird (S. 95).
Die Autoren berichten auch von Laschets anhaltender publizistischer Tätigkeit und legen den Eindruck nahe, er sei auf den kurzfristigen Effekt aus, weniger an Strategie, und unbedachte Äußerungen brächten ihn immer wieder in die Defensive (S. 98 ff.).
Der Bericht über den Aufstieg in der (Aachener) CDU („Das Politik-Talent“) vermittelt glaubwürdig den Eindruck, dass Laschet zu Beginn von glücklichen Umständen profitiert, weil sich die bisherigen Führungspersonen untereinander zerstritten haben.
Geschildert wird hier das auch in den Reihen der CDU teilweise geäußerte Unverständnis über die Haltung Laschets zu den im Frühjahr 2020 ergriffenen drastischen Anti-Corona-Maßnahmen. Direkt bewertet wird diese Haltung – möglicherweise die allein rechtmäßige Art, mit dem Virus umzugehen – von den Autoren aber nicht (S. 128).
Armin Laschet per Kapitel sechs als „Grünen-Versteher“ bezeichnet, und es wird darin die Geschichte der „Pizza-Connection“ erzählt, die Bundestagsabgeordnete des Wahl-Jahrgangs 1994 miteinander verbindet (und die wohl eher als „Rotwein-Connection“ bezeichnet würde). Dass sich hier einige Vertreter der beiden Parteien gut verstehen, ist allgemein bekannt. Interessant ist, dass die Autoren eher beiläufig erwähnen, die kulturelle Hegemonie der Linken sei längst Allgemeingut geworden, weswegen die jungen Politiker etwa über dieselben Witze lachen könnten, auch wenn sie mitunter blasphemisch sind (S. 155).
Nach nur einer Wahlperiode wird Laschet mit dem Wahlsieg von Rot-Grün im Jahre 1998 aus dem Bundestag gewählt. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich Laschet im Wahlkampf für das damalige Reformprogramm Wolfgang Schäubles eingesetzt habe und es ihm zu wenig gewesen sei, nur auf die PDS einzudreschen und im übrigen die Verdienste Helmut Kohls nach 16 Jahren Amtszeit zu loben (S. 163). Der Rezensent erinnert sich, dass er damals genau so dachte.
Interessant ist die Schilderung der Zeit Laschets im EU-Parlament, in das er 1999 erstmals einzieht. Allerdings dürften viele Europaabgeordnete einen ähnlich kollegialen Führungsstil gegenüber Mitarbeitern anwenden. Man kann hier nicht die Verhältnisse in Berlin oder Düsseldorf auf Brüssel übertragen. Dass Laschet sich dort wohlgefühlt haben muss, wird aber überdeutlich.
Die Schilderung des Privatmanns Armin Laschet im nächsten Kapitel ist mit „Kulturfreund und Genussmensch“ untertitelt. Gleichwohl tritt uns in diesem Kapitel nicht unbedingt der Inhaber eines ausgefallenen Geschmacks entgegen, eher schon jemand, der – ohne mit dem „gehobenen Mittelständler“ Friedrich Merz vergleichbar zu sein – durchaus seinen Wert für die Partei kennt und deshalb erhöhte Bezüge für sich als Oppositionsführer in Düsseldorf herausschlägt (S. 216).
Dass Armin Laschet kämpfen kann und bei Niederlagen nicht aufgibt, wird in einem eigenen Kapitel herausgearbeitet („Das Stehaufmännchen“). Zu recht wird er darin als „Mann der zweiten Chance“ charakterisiert. Denn nach der Wahlniederlage 2010, als die Düsseldorfer Landesregierung Rüttgers nach nur fünf Jahren abgelöst wird, verliert Laschet auch sein Amt als Integrationsminister, das in der Biographie in einem eigenen Kapitel („Der Türken-Armin: Reformer und Regierender“) behandelt wird, das dem über das Stehaufmännchen vorangestellt ist. Aber Laschet wird eben nicht sofort CDU-Landesvorsitzender oder auch nur Vorsitzender der Landtagsfraktion. Dies geschieht erst allmählich und unter Zuhilfenahme der Bundespartei, die den Konkurrenten Karl Josef Laumann nach Berlin weglobt.
Es folgt eine Schilderung des Systems Laschet und seiner Unterstützer („Der Chef“), worin namentlich die Gewinnung des heutigen Staatskanzleichefs Nathanael Liminski geschildert wird, der auch als katholisch, aber nicht so liberal wie sein Chef umschrieben wird (S. 273 f.). Die Autoren stellen fest, unverkennbar treibe „da jemand gerade der NRW-CDU ihre fast legendäre Oppositionsgemütlichkeit aus“ (S. 277). „Das ist ja mal etwas“, mag sich der Leser sagen.
Armin Laschet wäre wohl nur unzureichend beschrieben, wenn nicht auch der Faktor des Chaotischen gewürdigt würde. Es sind da namentlich zwei Ereignisse aus der Düsseldorfer Oppositionszeit allgemein bekannt geworden, nämlich das Verschwinden von Klausuren des langjährigen Lehrbeauftragten für Europapolitik an der RWTH Aachen und das beim Telefonieren im Urlaub ins Wasser gefallene Handy. Beide Geschichten werden erzählt („Der Chaotische. Rastlos und rheinische Lösungen“). Aber auch die Neigung Laschets zu twittern, wird hier berichtet. Am Ende des Kapitels stellen Blasius und Küpper die Frage: „Müsste er nicht rigoroser Wichtiges von Unwichtigem trennen?“ und beantworten dies damit, es sei Laschets „Volksnähe 2.0, die er nicht ablegen“ wolle (S. 318).
Das letzte ordentliche Kapitel mit dem Titel „Der Ministerpräsident“ schildert die bisher erfolgreiche Arbeit der schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf. Im Epilog („Der Corona-Manager“) schließlich werfen die Autoren die Frage auf: „Reicht es für ganz oben?“
Treffend ist wohl die folgende Passage: „Die omnipräsente Corona-Krise führt im Frühjahr 2020 geradezu im Zeitraffer von wenigen Monaten den Deutschen vor Augen, was für ein Politiker-Typus Armin Laschet ist. Wer er sein will und sein kann. Was ihn ausmacht und was mit ihm nicht zu machen ist“ (S. 345). Die Verantwortlichen in zunächst der CDU müssen nun entscheiden, welchen Typ sie wollen. Dabei gibt es durchaus Gemeinsamkeiten. Denn durchgehend wird Laschet als bekennender Katholik bezeichnet, was ihn allerdings nicht so deutlich von seinen Mitbewerbern unterscheidet (denn dies scheint er – wie auch den Umstand, Vater jeweils dreier Kinder und mit der ersten Frau verheiratet zu sein, mit seinen Mitbewerbern Friedrich Merz und Norbert Röttgen zu teilen.)
Wer wie der Rezensent aus Nordrhein-Westfalen stammt, wird sich vielleicht deshalb schon eine Fortsetzung der derzeitigen Regierung wünschen. Wer meint, die Bundesebene sei wichtiger, wird auch Armin Laschet in seine Wunschüberlegungen einbeziehen. Der Typ Armin Laschet tritt jedenfalls aus diesem Buch überdeutlich hervor.
Tobias Blasius/ Moritz Küpper, Der Machtmenschliche. Armin Laschet. Die Biographie, Klartext Verlag, Essen 2020, 360 S., 25 Euro