Businessplan

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

ein früherer Mitschüler, den es auch nach Berlin verschlagen hatte, rief mich an. Damals, vor achtzehn Jahren, als wir gerade nach Berlin gezogen waren. Er habe einem Rechtsanwalt von mir erzählt, davon, dass ich Verlagspraktikant und auf Arbeitssuche sei und kurz vor dem Abschluss meiner Promotion stehe und eine koreanische Frau habe. Und dieser Rechtsanwalt habe gemeint, ich solle mich doch einmal bei ihm vorstellen. Da ließ ich mich natürlich nicht lange bitten. An die hundert Bewerbungen hatte ich zu jener Zeit wohl schon geschrieben. Aber der Arbeitsmarkt für Juristen war wie leergefegt. Und ich hatte mich ja auch nur in Berlin beworben, wo es seinerzeit noch viel düsterer aussah als woanders, da meine Frau keinen anderen Ort in Deutschland als Wohnsitz für uns akzeptierte. Ganze zwei Einladungen zu Bewerbungsgesprächen waren für mich bisher herausgesprungen: eins bei einem windigen Finanzdienstleiter, wo ich ganz schnell wieder draußen war, und eins bei dem kleinen Start-up-Verlag, der mich sofort als Praktikant in seine Dienste nahm.

Ich sprach also vor bei diesem Rechtsanwalt, der mich in seinen Kanzleiräumen in gediegener Lage nahe dem Ku`damm empfing, und drückte ihm meinen Lebenslauf in die Hand, den er einmal flüchtig überflog. Also eine koreanische Frau hätte ich, sagte er, das sei ja interessant. Seine Kanzlei sei ja ziemlich auf Asien spezialisiert. Ein Kollege mache Singapur, ein anderer Japan, ein dritter China und ein vierter Thailand. Da würde Korea doch gut reinpassen. Zumal man an die Koreaner ja nur ganz schwer rankomme, die seien ja sowas von verschlossen und grundsätzlich nur gegenüber Landsleuten offener, da sei so eine Verbindung auf der persönlichen Schiene doch Gold wert. Und es gäbe ja schon eine Menge Koreaner in Berlin, da könnte doch was gehen. Also er biete selbstverständlich keine Festanstellung an, das sei ja klar. So etwas mache er natürlich nicht. Hier würden alle eigenverantwortlich arbeiten. Aber eine Kollegin sei jetzt in Elternzeit und nur stundenweise im Büro, da könnte ich doch in der übrigen Zeit ihren Arbeitsplatz mit nutzen, da würde ja sonst ohnehin keiner sitzen. Und das würde mich noch nicht mal etwas kosten. Und sollte es gut laufen, das müsste man aber erst mal sehen, dann könnte man ja später vielleicht auch meinen Namen mit aufs Kanzleischild schreiben, ich hätte ja schließlich promoviert, das würde doch gut aussehen. Also wenn ich das machen wolle, dann solle ich doch schon mal einen Businessplan schreiben und in zwei Wochen wiederkommen, und dann würden wir weitersehen.

Dieser Anwalt war wohl damals so um die fünfzig, vielleicht so ähnlich alt wie ich heute. Er war keineswegs unfreundlich, besonders nett aber nun auch nicht gerade… Doch als ich aus diesem Gespräch herauskam, als gerade 30-jähriger frischgebackener Absolvent, fühlte mich einfach nur verloren. Zwar ahnte ich, dass sich da möglicherweise eine gute Chance für mich auftun könnte, aber ich wusste überhaupt nicht, was dieser Mann von mir wollte. Einen Businessplan sollte ich schreiben, was sollte das sein? Was sollte da drinstehen? In meiner ganzen Juristenausbildung hatte ich dieses Wort noch nicht gehört. Ich kannte es nur aus der Zeitung, aus der Welt der Wirtschaft, mit der ich, jedenfalls bisher, kaum etwas zu tun gehabt hatte. Ich wusste auch nicht, wen ich dazu hätte befragen können. Also schob ich es immer weiter vor mir her, gründlich über die Sache nachzudenken. Als die zwei Wochen herum waren, war ich noch keinen Schritt weitergekommen. Auch nicht nach drei oder vier Wochen. Irgendwann war es dann zu spät, um mich noch bei diesem Anwalt zu melden…

Heute denke ich, dass die intuitiven Entscheidungen oft die besten im Leben sind. Zwar hätte ich mit etwas Überlegung auch schon damals darauf kommen können, dass es diesem Anwalt vermutlich um eine Recherche ging, welche Koreaner es in welchen Wirtschaftsbereichen in Berlin gibt und über welches geschäftliche Volumen und Potenzial diese jeweils verfügen. Ich hätte mir Gedanken darüber machen müssen, wie man sich an die hätte ranschmeißen können, oder positiver ausgedrückt: welche Art der rechtsberatenden Unterstützung man denen hätte anbieten können, welcher Beratungsbedarf wohl bei ihnen besteht, und ihnen dann alles aus einer Hand anbieten können, direkt mit Übersetzung in ihre Landessprache. Das wäre bestimmt eine lukrative Chance gewesen für jemand anderen an meiner Stelle. Aber für mich war es das ganz sicher nicht, weil es mir überhaupt nicht liegt, auf Menschen zuzugehen, und schon gar nicht mit solchen Hintergedanken. Niemals wäre ich damit glücklich geworden.

Darin scheint mir tatsächlich eine Art Erfolgsgeheimnis zu liegen, wenn auch natürlich mit immer unsicherem Ausgang: lieber das weiterzuverfolgen, von dem man merkt, dass es zu einem passt, auch wenn es vielleicht nicht besonders lukrativ erscheint und nicht viel Prestige einbringt, und dafür alles andere links liegen zu lassen, was sich nicht gut anfühlt, was einem nicht sympathisch ist. Und mit etwas Glück stellen sich dann möglicherweise die Erfolge von ganz unerwarteter Seite ein. Es muss nicht so kommen, aber das Chance-Risiko-Verhältnis sollte dann allemal besser sein, als wenn man sich in Tätigkeiten aufreibt, die einen unglücklich machen.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Okt. 19th, 2020 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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