Sozialprozess professionell

Der „Meyer-Ladewig“ scheut die 13. Auflage nicht

Matthias Wiemers

Unter den Verfahrensordnungen zu den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten ist die Sozialgerichtsordnung am wenigsten kommentiert. Dies mag daran liegen, dass die Sozialgerichtsbarkeit besonders bürgerfreundlich und kostengünstig sein will und dem Bürger eher weniger verfahrensrechtliche Hürden entgegengestellt werden (So kann ein Beteiligter seinen Streit gem. § 73 SGG sogar vor dem LSG selbst führen.).
Unter den wenigen Kommentierungen hat sich schon früh der ursprünglich von dem Ministerialdirigenten im BMJ Jens Meyer-Ladewig bearbeitete orange Kommentar aus der Reihe „Gelbe Erläuterungsbücher“ etabliert. Die jetzigen drei Bearbeiter, ebenfalls in zwei Fällen schon pensioniert, haben sich nicht gescheut, in diesem Jahr eine 13. Auflage auf den Markt zu bringen (Bekanntlich ist der Aberglaube in der Sozialpolitik sehr verbreitet – weswegen es kein 13. SGB gibt: https://www.welt.de/wirtschaft/article186958284/Hubertus-Heil-Verzicht-auf-13-Sozialgesetzbuch-aus-Aberglaube.html).

Ganz im Gegensatz zu den in relativ langen Abschnitten erscheinenden Neuauflagen des Kommentars (Die 12. Auflage in jetzt unveränderter Zusammensetzung der Autoren stammte aus dem Jahre 2017.) steht der Gesetzgeber und stehen damit auch die Gerichte im Sozialrecht niemals still.
Das aus dem Jahre 1953 stammende SGG wurde während der soziall-liberalen Koalition im Jahre 1975 neu bekannt gemacht und hat seither 100 Änderungen erfahren, während weitere längst geplant sind. Die dynamischen Renten könnten in Zeiten von Corona nun
auch einmal sinken, und der Gesetzgeber hat auf der anderen Seite die bedingungslose Grundrente beschlossen (https://www.bmas.de/DE/Schwerpunkte/Grundrente/grundrente-beschlossen.html). Da scheint sozialrechtlicher Streit vorprogrammiert.

Allerdings verzichtet der Kommentar auf detaillierte Einzelheiten zu einzelnen Zweigen der Sozialversicherung bzw. zur Grundsicherung. Nur vereinzelt finden sich hierzu Hinweise im Sachverzeichnis. Er zeichnet sich vielmehr durch eine nüchterne, gerade in den Anfangsparagraphen auch sehr knappe Darstellung aus, ohne auf weiterführende Hinweise in der Literatur zu verzichten. Auch auf eine Einführung in das Sozialgerichtswesen wird verzichtet; dies ist m. E. entbehrlich, weil die Grundzüge dem Sozialrechtspraktiker einerseits bekannt sind und zum anderen die Einzelregelungen viele Details enthalten, die sich schwerlich in eine solche Einführung fassen lassen. Es werden allerdings in den Kommentierungen gelegentlich Seitenblicke auf die ZPO und die VwGO gewagt, wenn sie Parallelvorschriften enthalten.
Der Kommentar bietet Hilfe aus einer Hand. Dies lässt sich sehr anschaulich machen am Beispiel des § 73a über die Prozesskostenhilfe, die auch im Sozialgerichtsverfahren mitunter notwendig ist. Enthalten ist hier eine vollständige Kommentierung, die den Rückgriff auf die in Bezug genommenen Vorschriften der ZPO entbehrlich macht.

Das Fazit lässt sich sehr schnell ziehen: Der Kommentar ist für Sozialrechtler unentbehrlich.

Dies folgt daraus, dass einerseits nach Eingliederung der Sozialhilfe ins SGB die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit im Sozialrecht an Bedeutung verloren hat und andererseits immer neue Sondervorschriften hervorgebracht werden, die die beiden öffentlich-rechtlichen Gerichtszweige tendenziell voneinander entfernen. Von einer einheitlichen Verfahrensordnung aller (drei) öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten ist immer weniger die Rede.

Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG. Sozialgerichtsgesetz. Kommentar, 13. Aufl., München 2020, 1759 S., 105 Euro (ISBN 978-3-406-74589-8)

Veröffentlicht von on Okt. 19th, 2020 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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