Deutsche Juristenbiographien, Teil 33: Arthur Philipp Nikisch (1888–1968)
Matthias Wiemers
Die Staats- und Gesellschaftsordnung der Weimarer Republik brachte eine Reihe neuer Spezialisierungen in der Rechtswissenschaft hervor, darunter auch das Arbeitsrecht. Hierfür zeichneten wenige Pioniere verantwortlich, die teilweise gar aus dem öffentlichen Recht stammten. Der am 25. November 1888 in Leipzig geborene Arthur Philipp Nikisch kann allerdings eher als Privatrechtler bezeichnet werden, und sein Lebensweg ist sicherlich in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich.
Arthur Philipp kommt als Sohn des berühmten Dirigenten (Kapellmeisters) Arthur Nikisch. Der Vater war katholisch, die Mutter Amalie Nikisch evangelisch-reformiert; ,das Kind wird nach der Konfession der Mutter erzogen. Die Kindheit beginnt turbulent, weil der Vater bereits im Sommer des nächsten Jahres ein Engagement zur Leitung des Boston Symphony Orchestras, was zu einem vierjährigen Aufenthalt in den USA führt. 1893 erreicht den Vater ein Ruf aus Ungarn, dem Heimatland seiner eigenen Mutter. Dort wird er Operndirektor und leitender Kapellmeister in Pest. Im Juni 1895 schließlich führt der Weg zurück nach Leipzig, wo der Vater ans Gewandhaus berufen wird.
Das Abitur macht Arthur Philipp an der berühmten Thomasschule und erhält nebenher Unterricht an der Bratsche, was ihm jedoch nicht zusagt. Allerdings wird Arthur Philipp ein begabter Pianist. Auch der Literatur ist er zugetan. Ostern 1907 legt Arthur Philipp als Bester von 63 das Abitur an der Thomasschule ab.
Trotz künstlerischer Neigungen aber ohne ausgesprochene Begabung hierfür, entschließt sich Nikisch für das Studium der Jurisprudenz, das er im Sommersemester in Freiburg aufnimmt. Hier prägt ihn die Vorlesung von Richard Schmidt zur Einführung in das deutsche Recht. Zum Wintersemester 1908 kehren sowohl Nikisch wie auch Richard Schmidt in ihre Heimatstadt Leipzig zurück. Bereit das zweite Semester (WS 1907/08) hat Nikisch allerdings in Berlin verbracht, das Sommersemester 1908 in München, und dann eben bis Januar 1911, dem Abschluss des Studiums, wieder an der damals sehr bedeutenden Leipziger Fakultät. Das Erste Staatsexamen am 11. Januar 1911 absolviert Nikisch wiederum als Bester. Eine Dissertation nimmt er bereits während seines letzten Leipziger Studiensemesters in Angriff – ein seinerzeit noch völlig übliches Verfahren – zumal man noch bis vor wenigen Jahren ein Jurastudium anstatt per Staatsexamen auch mit der Doktorarbeit abschließen konnte. Die über achtzigseitige schuldrechtliche Arbeit unter der Betreuung von Emil Strohal ertent das Prädikat magna cum laude.
Der juristische Vorbereitungsdienst beginnt bereits am 15. April am Amtsgericht Leipzig. Zum 1. November 1912 beginnt die Anwaltsstation bei dem Leipziger Anwalt Dr. Hillig. Noch im Jahre 1912 erfolgt die Verlobung mit der Opernsängerin Grete Meerem, die Mitte 1913 ein Engagement an der Königlichen Hofoper in Dresden erhält. Da Nikisch seine Verlobte heiraten will, sich damit ein wenig die Pläne, Rechtsanwalt zu werden. Nikisch beantragt zum 1. November die Versetzung nach Dresden, wo dann auch zum 1. Mai 1914 ohnehin die letzte Referendarstation beim dortigen OLG beginnt. Dort ist er faktisch nur als Protokollant tätig. Am 4. Juli 1914 heiratet Nikisch Grete Merrem in deren Heimatstadt Köln. Die Ehe leibt kinderlos. Nach Ende der Referendarzeit am 31. Oktober 1914. In die Examensphase bricht der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hinein. Durch eine sechswöchige Beurlaubung vom Wehrdienst und die Meldung als Freiwilliger zu einem Dresdner Feldartillerie-Regiment muss Nikisch erst zum 22. Februar 1915 deinen Militärdienst antreten. Das mündliche Assessorexamen findet am 6. Februar 1915 statt, und auch die Assessorprüfung schließt Nikisch wieder als Bester ab. Der Militärdienst dauert allerdings nur einen Monat, weil es mit Beginn der Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg einen Mangel an Verwaltungsjuristen gibt. Nikisch entgeht dem Frontdienst, weil ihn das Sächsische Innenministerium angefordert hat. Den fünfjährigen Dienst im Landeslebensmittelamt ab dem 1. April 1915 versieht Nikisch abwechselnd als unbesoldeter Assessor, Regierungsassessor und Regierungsamtmann. Zu den Aufgaben Nikischs gehört u. a. die Geschäftsführung der Landesgetreidestelle und der Landeszuckerstelle – zuerst ressortierend im Innenministerium und dann im Wirtschaftsministerium Sachsens.
Nikisch stellt sich sodann die Frage, wie es nach Auslaufen der Lebensmittelbewirtschaftung mit seiner Karriere als Verwaltungsbeamter weitgehen könnte und lässt sich sodann vom Staatsdienst beurlauben, um in den Kommunaldienst der Stadt Dresden zu wechseln, wo er Stadtschreiber wird, was heute dem persönlichen Referenten des Oberbürgermeisters entspricht. Diese Stelle versieht Nikisch vom 16. Februar 1920 bis 31. März 1921. Die Rückkehr in den Staatsdienst erfolgt zum 1. April auf eine Regierungsratsstelle bei der Amtshauptmannschaft Dresden-Altstadt. Dort hat Nikisch nebenbei die Geschäfte des Verbandes der sächsischen Bezirksverbände. Zum 16. April erfolgt dann die Versetzung zur Kreishauptmannschaft, verbunden mit der Leitung eines dort gebildeten Schlichtungsausschusses, einer Einrichtung zur Vermittlung im Arbeitsstreitigkeiten, die paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt war. Bedauert Nikisch auch, dass er mit der Versetzung zur Kreishauptmannschaft die Geschäftsführung des Verbandes abgeben muss, so lernt er in seiner neuen Tätigkeit als Vorsitzender des Schlichtungsausschusses den Direktor des Sachsenwerks kennen, der ihn als Syndikus für Dresdner Verband der Metallindustriellen gewinnt. Mit dem dortigen Dienstantritt am 1. November 1923 endet damit zunächst die Tätigkeit im Öffentlichen Dienst. Die Tätigkeit als Verbandssyndikus dauert bis 1933 und führt dazu, dass sich Nikisch verstärkt mit dem noch neuen Gebiet des Arbeitsrechts beschäftigt. Der fast Vierzigjährige beginnt nun, Abhandlungen zum Arbeitsrecht zu verfassen. Aufgrund zweiter Veröffentlichungen in der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht, herausgegeben von dem Berliner Ordinarius Walter Kaskel, führen dazu, dass ihn dieser zu einem Gespräch nach Berlin einlädt und ihm die Habilitation nahelegt. Diese erfolgt auf Empfehlung Kaskels durch den Professor an der Dresdner Technischen Hochschule Felix Holldack; die Habilitationsschrift schreibt Nikisch im Laufe des Jahres 1925, und am 7. Juli nimmt die Kulturwissenschaftliche Abteilung der TH Dresden das Buch Nikischs über „Die Grundformen des Arbeitsvertrags und der Angestelltenvertrag“ als Habilitation an. Im noch jungen Arbeitsrecht bestand damals ein besonderer Bedarf an Grundlagenarbeiten, und Nikisch legt mit seiner Habilitationsschrift eine solche vor. Die Ergebnisse dieser Arbeit kann Nikisch bereits vor Veröffentlichung in von Professor Erwin Jacobi an der Universität Leipzig angebotenen Übungen zum Arbeitsrecht vortragen. Nikisch selbst hält in Dresden erstmals im Sommersemester 1927 eine arbeitsrechtliche Übung ab. Walter Kaskel sorgt zudem dafür, dass Nikisch bereits im Herbst 1926 auf dem Deutschen Juristentag in Köln als Korreferent von Hugo Sinzheimer zu einem grundlegenden Problem des Arbeitsrechts vortragen darf. Als Kaskel 1928 bereits mit 48 Jahren stirbt, setzt die Berliner Fakultät Nikisch auf Platz eins der Vorschlagsliste für seine Nachfolge, allerdings wird ihm Hermann Dersch vorgezogen, u. a. weil Nikisch zu der Zeit länger nichts Größeres zum Arbeitsrecht veröffentlicht hat, und weil der preußische Kultusminister die Ernennung eines Arbeitgeberverbarbands-Syndikus scheut.
In Dresden ist Niksich jedoch fast der einzige Jurist und kann daher seine Lehrtätigkeit als Privatdozent ausbauen und liest alsbald zu den ersten drei Büchern des BGB und über das Handels- und Gesellschaftsrecht, das Sozialversicherungsrecht, das Arbeitsrecht, den Zivilprozess und die Zwangsvollstreckung.
Zum 1. Januar wird Nikisch in Dresden zum außerplanmäßigen Professor ernannt.
Im Folgejahr, nach der so genannten Machtergreifung der Nazis, wird der Arbeitgeberverband der Metallindustriellen zur Auflösung gezwungen und Nikisch steht deshalb ohne Hauptbeschäftigung da.
Bis 1934 weiter von seinem Verband bezahlt, bewirbt sich Nikisch zum WS 1934/35 auf die Nachfolge seines Habilitationsvaters Holldack, der nach dem Gesetz über die so genannte Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den zwangsweisen Ruhestand versetzt wird. Schon im Wintersemester zuvor hat er in Leipzig einen Lehrstuhl vertreten. Wissenschaftlich beschäftigt sich Nikisch in dieser Zeit vor allem mit Zivilprozessrecht. In Dresden muss er neben Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht auch Rechtsvorlesungen für Techniker sowie für Volks- und Betriebswirte halten. Zum 1. Februar 1935 wird Nikisch schließlich in Dresden zum Ordinarius ernannt und wird zum folgenden Wintersemester gegen seinen Willen auch Dekan. Eines Beitritts zur NSDAP bedarf es für beide Schritte nicht. Allerdings beteiligt sich Nikisch an einem Ausschuss der NS-Akademie für Deutsches Recht, der 1938 den Entwurf eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis vorlegt. Neben zahlreichen Zeitschriftenpublikationen legt Nikisch in den 193034 Jahren einen zweibändigen Grundriss des Arbeitsrechts vor. Von 1938 lehrt Nikisch als Ordinarius an der als ausgesprochen nationalsozialistisch bekannten Universität Kiel (Stichwort: „Stosstrupp-Fakultät“), wo er den nach Berlin berufenen Wolfgang Siebert ablöst. In Kiel bleibt er bis Ende Juli 1941 und wird von dort an die Reichsuniversität Straßburg berufen – auch kein Hort des inneren Widerstands im NS-System, wenn man es einmal so ausdrücken mag. Ihm waren einige ausgeprochene NS-Freunde aus Kiel vorausgegangen. Auch in Straßburg veröffentlich Nikisch wieder eine Monographie und eine Neuauflage seines Lehrbuchs zum Arbeitsrecht. Daneben beginnt Nikisch im Sommer 1944 die Arbeit an einem Lehrbuch zum Zivilprozessrecht, bevor er zum 1. November 1944 vom Reichsminsiterium an die Fakultät seiner Heimatstadt Leipzig abgeordnet wird. Zum 1. Juli 1945 wird Nikisch zum ordentlichen Professor für Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Verfahrensrecht und zum Direktor des Instituts für Arbeitsrecht in Leipzig berufen und zugleich zum Rektor der Universität bestellt.
Offiziell erfolgt die Eröffnung der Fakultät Anfang 1946. Aus den Vorlesungsskripten entstehen Grundrisse zum Bürgerlich Recht und Bodenrecht. Das ZPO-Lehrbuch erscheint 1950. Mit der allmählichen Politisierung der Lehre durch das SED-Regime entsteht der Wunsch, in den Westen zu wechseln. Die Flucht zurück nach Kiel erfolgt im März 1950, die Arbeit an der Fakultät kann zum Wintersemester aufgenommen werden. Zum 1. April 1957 erfolgt schließlich die Emeritierung. Im Laufe der Jahre entsteht ein dreibändiges Großes Lehrbuch zum Arbeitsrecht, das noch eine Neuauflage erlebt. Nikisch ist als Schlichter in Tarifangelegenheiten tätig. Am 17. Juni 1968 stirbt er nach kurzer Krankheit in Kiel und wird auf dem städtischen Nordfriedhof beigesetzt. Das Grab besteht bis zum Jahre 2000 erhalten. Bis heute wird die so genannte Eingliederungstheorie zum Arbeitsverhältnis mit ihm verbunden.
Arthur Nikisch ist ein Beispiel für einen Juristen, der immer wieder in berufliche Situationen hineinkommt, die er nicht unbedingt angestrebt hat. Während seiner Ausbildung will er Anwalt werden, durch den Ersten Weltkrieg gerät er zunächst in die Öffentliche Verwaltung, was ihn aber aufgrund der besonderen Rechtslage damals in eine Verbandgeschäftsführung und ins Schlichtungswesen in Arbeitssachen führt. Notwendigkeiten der Praxis führen schließlich zu publizistischer Tätigkeit und diese wiederum zur Förderung durch einen frühen Vertreter des Arbeitsrechts, den jüdischen Professor Walter Kaskel. Faktisch profitiert er auch von seinem als jüdisch-katholischer Konvertit 1934 aus dem Beamtenverhältnis entfernten Lehrer Felix Holldack. Nikisch ist arbeitgeberfreundlich und konservativ, aber wohl weder Nationalsozialist noch Antisemit. Gleichwohl wurde er sowohl in der frühen Bundesrepublik als auch im NS-Staat geehrt, ist ehrenamtlicher Richter am Reichsarbeitsgericht und verfasst gemeinsam mit Rolf Dietz einen frühen Kommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz. Bis heute zählt Nikisch zu den einflussreichsten Arbeitsrechtlern des 20. Jahrhunderts.
Quellen:
Annett Böhm, Arthur Philipp Niekisch – Leben und Wirken, Berlin 2003 (zugl. Diss. Leipzig 2003); eigene Erkenntnisse