„Die Heiterkeit“-Frontfrau Stella Sommer auf ihrer zweiten Solo-Platte „Northern Dancer“
Thomas Claer
Stella Sommer, die singende, musizierende, komponierende und textende examinierte Juristin, deren Veröffentlichungen mit ihrer Band „Die Heiterkeit“ wir an dieser Stelle schon mehrfach mit Lob überschüttet haben, hat auch noch eine andere, lange Zeit verborgen gebliebene Seite. Und die lebt sie seit 2018 als Solo-Künstlerin aus. Wobei man einschränkend hinzufügen muss, dass sich die nominale Unterscheidung zwischen Band und Solo-Projekt wohl nicht jedem ihrer Hörer sogleich erschließen wird, da auf den „Heiterkeit“-Platten ja auch nur Stella Sommer mit wechselnden Begleitmusikerinnen agierte, während auf ihrer ersten „Soloveröffentlichung, der grandiosen Platte „13 Kinds of Happiness“, u.a. auch zwei frühere Bandkolleginnen von der „Heiterkeit“ mitwirkten. Doch kommt es auf solche Feinheiten natürlich überhaupt nicht an. Und fest steht immerhin, dass sie auf ihren „Heiterkeit“-Alben deutsch singt und es manchmal auch indiegitarrenrockmäßig krachen lässt, wohingegen ihre Solo-Scheiben sich am Stil der Sechzigerjahre orientieren und (mit bislang einer Ausnahme: dem letzten Song der ersten CD) englisch besungen sind.
Es liegt nahe, dass Stella Sommer durch die vielen Nico (ex-Velvet Underground)-Vergleiche der Musikkritiker in all den Jahren auf den Trichter gekommen ist, selbst einmal eine Platte wie ihr stimmliches Leitbild, die frühe Nico, einzuspielen. Und dieser inzwischen schon mehr als zwei Jahre zurückliegende Versuch ist ihr so gut gelungen, dass sie nun mit dem Album „Northern Dancer“ noch einmal nachgelegt hat. Abermals werden wir musikalisch und instrumental, auch optisch und was die ganze Inszenierung angeht (man betrachte nur das Video zum Song „A Lover Alone“, das mutmaßlich in einem englischen Park spielt!), in die frühen bis mittleren Sechziger zurückversetzt. Nur die Songtexte tanzen hier manchmal ein wenig aus der Reihe, denn die sind mitunter gewagter, als es seinerzeit (vor 1968!) opportun gewesen wäre. Das für mich schönste Lied der Platte, „Lights on the Water“, nicht ohne Grund effektvoll als „Hidden Track“ ganz am Ende der CD platziert, beginnt mit den Worten: „Over this body I have limited control“. Da denkt man unwillkürlich an den alten Tocotronic-Song „Über Sex kann man nur auf Englisch singen“. Wäre ja sonst auch wirklich zu peinlich… Aber man erkennt auch, dass der an sich erfreuliche weigehende Wegfall sittlichkeitsgeleiteter Zensur heutzutage das Texten nicht unbedingt einfacher gemacht hat. Jedoch zieht sich Stella Sommer auch in dieser Hinsicht noch immer sehr achtbar aus der Affäre…
Alles in allem liefert „Northern Dancer“ also, ähnlich wie sein Vorgänger, wieder ausnehmend stimmungsvolle Musik, die sich – passend zum aktuellen Corona-Lockdown – am besten alleine oder zu zweit genießen lässt. Wobei „Northern Dancer“ die überwältigende düstere Eindringlichkeit von „13 Kinds of Happiness“ dann allerdings doch nicht ganz erreichen kann. Das Urteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).
Stella Sommer
13 Kinds of Happiness
Affairs of the Heart / Indigo 2018
ASIN: B07CPMDQ16
Stella Sommer
Northern Dancer
Northern Dancer Records (Membran) 2020
ASIN: B08H4WQXMS