Künstler, Kommunen und stabile Gemeinden

Nach 1990 haben sich in den neuen Bundesländern auch neue Kulturlandschaften entwickelt – zu Besuch bei der Malerin Heike Wolff im Mansfelder Land, wo einst die Reformation begann

Benedikt Vallendar

Kunsthof in Molmerswende

Noch immer ist es spürbar, das Leben zu DDR-Zeiten, als der Kunsthof in Molmerswende eine LPG, eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft war. Als Traktoren durch das Tor fuhren und statt Malkursen die Schriften Karl Marx` und Friedrich Engels` das abendliche Kulturprogramm bestimmten. Die brau-grauen Stallungen wurden nach der Wende nicht abgerissen. Und auch der grob betonierte Weg und die Absperrung zu den Feldern zeugen von sozialistischer Vergangenheit.  „In den Ateliers schliefen früher Arbeiter“, sagt Heike Wolff, die die alten Gebäude mit ihrem Mann um die Jahrtausendwende gekauft hat und, wie sie sagt, dort „viel hineininvestieren“ musste. Neben Geld vor allem Zeit und Mühe, bis aus der heruntergekommenen Behausung wieder ein schmuckes Haus geworden war. Heute herrscht dort bürgerliche Behaglichkeit; an einem Ort, wo früher Kommunisten das Sagen hatten, diktatorisch regierten und den Menschen das Paradies auf Erden versprachen. Zugleich war Molmerswende ein Ort, um den herum die Reformation ihren Anfang nahm, wo der im nahen Eisleben geborene Martin Luther im 16. Jahrhundert Missstände in der Kirche anprangerte und damit zur Entstehung zweier Konfessionen beitrug. Dass Religion hier weiter ein Thema ist, dass die neuen Bundesländer „Missionsland“ sind, ist hier besonders spürbar. Denn das Bedürfnis nach Seelsorge, der Wunsch nach der Beantwortung von Sinnfragen und Fragen an das Leben im Allgemeinen ist hier gefühlt fast noch größer als im Westen. Seelsorger, die es vermögen, auf Menschen einzugehen, sind im Mansfelder Land gern gesehene Gäste und Gesprächspartner. Was auffällt: Trotz Stigmatisierung zu DDR-Zeiten haben sich in der Region auch katholische Gemeinden erhalten und vereinzelt neu gebildet; wenn auch in überschaubaren, teils familienähnlichen Strukturen, mit Hausgottesdiensten, Haustaufen und Sommerfesten im eigenen Garten, was in westdeutschen Diözesen kaum noch anzutreffen ist.
Zusammenhalt ist auch bei den Wolffs angesagt. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts lässt sich die Geschichte ihrer Familie in Molmerwende nachverfolgen. Gottfried August Bürger, ein wichtiger Vertreter der Literaturepoche des „Sturm und Drang“ wurde 1747 im Ort geboren. Heike Wolff stammt selbst auch aus Molmerswende und betreibt dort mit Schwester Silke Becker und ihrem Ehemann einen Kunsthof mit angeschlossenen Ferienwohnungen, die auf Nachfrage auch länger angemietet werden können. Luxuriöser Wohnraum inmitten der ostdeutschen Provinz, der trotz stolzer Preise ganzjährig gut nachgefragt werde, heißt es. Schwester Silke ist Töpfermeisterin, stellt kunstvolle Keramik her, die sie in ihrem kleinen Laden verkauft und per Luftfracht auch an Kunden in Übersee liefert. Die liebevoll gestalteten Tassen, Teller, Kaffeeservice und Saftkaraffen aus Molmerswende erfreuen inzwischen auch gut betuchte Kreise in China, den USA, Japan und Russland, die sich die wertvollen Stücke aus Handarbeit leisten können, so hört man im Dorf.

Behinderte willkommen
Zu DDR-Zeiten hat Heike Wolff ein Fachschulstudium zur Hochbauingenieurin absolviert; heilfroh als die letzte Prüfung vorbei war und – nach eigenen Worten – „noch froher“, dass sie nie in diesem Beruf arbeiten musste. Denn ihre Welt ist die Malerei, worauf aber zu DDR-Zeiten kaum wer Rücksicht nahm. Studiert und gelernt werden musste, was die „entwickelte sozialistische Volkswirtschaft“ gerade so brauchte. Die Partei gab in allem den Ton an, was aber auch „seine guten Seiten gehabt“ habe, lässt Heike Wolff durchblicken. Doch Kunst, vor allem freie Kunst hatte im SED-Staat wenig Platz. Dessen Verheißungen sind längst Geschichte. Und auf der Internetseite heikewolff.de können Kunst- und Kulturbegeisterte heute Wochenendseminare buchen; zudem Bilder und Töpferware bestellen oder sich über die Geschichte des Landstrichs informieren. Seit einigen Jahren gibt es in Molmerswende auch ein spezielles Programm für Behinderte und deren Angehörige, was aber wegen der Coronapandemie ziemlich ausgedünnt werden musste.

Kultur auf dem Land
An diesem Nachmitttag ist auch die älteste Tochter Lea da. Die 21-Jährige wohnt in Halle, hat sich in Leipzig für Kunstpädagogik eingeschrieben und möchte später den Hof ihrer Eltern fortführen, sagt sie, die gerade mit Freunden auf einem Waldspaziergang gewesen ist, auf dem sie Pilze und besonders schön geformte Steine gesammelt haben. Draußen ist es dunkel und kalt geworden. An den Wänden hängen selbst gemalte Bilder, der Raum ist holzgetäfelt, und der Kamin sorgt für behagliche Wärme.  Heike Wolff schenkt Tee ein und serviert selbst gebackenen Kuchen. „Den mögen unsere Gäste besonders gern“, sagt sie und zeigt auf den mit der dicken Kruste und der gelben Vanillepaste. Sicher ist: Ohne das Engagement ihrer Familie wäre Molmerswende heute nur ein weiteres, verlassenes Dorf im schönen Mansfelder Land, idyllisch und der Natur überlassen, aber eben auch ohne das besondere Flair von Kunst und Kultur und allem, was Menschen ausstrahlen, die sich dafür begeistern.

Neue Räume
Was auffällt: Heike Wolffs Kunsthof ist in den neuen Bundesländern kein Einzelfall. Ortswechsel. Schloss Tonndorf in Thüringen, im Weimarer Land. Die Grundmauern und viele Gebäudeteile stammen noch aus dem Mittelalter. Zu DDR-Zeiten war hier ein Altenheim untergebracht. Auch in Tonndorf leben Menschen unter einem Dach, betätigen sich ökologisch, sozial und kulturell. Über Schloss Tonndorf wurde in den letzten Jahren viel geschrieben, in Zeitungen, im Internet, und wiederholt waren auch das Radio und das Fernsehen zu Drehterminen da. Was sich in Molmerswende beobachten lässt, fällt auch hier ins Auge: Wo Menschen kreativ sind, mit ihren Ideen einen Raum gestalten, da entwickeln sich Landschaften, entstehen Inseln, von denen Impulse zu Neuem ausgehen. „Dieser freie Raum, die weiten, dünn besiedelte Landschaften Ostdeutschlands ziehen Menschen an, die mit neuen Ideen die Hinterlassenschaften der SED-Diktatur beseitigen“, sagt Wolfgang Blaschke, Historiker und Fachautor für Regionalgeschichte. Ein ähnliches Phänomen sei auch im Norden Mecklenburg-Vorpommerns zu beobachten, wo junge Leute für teils nur symbolische Geldsummen heruntergekommene Gutshöfe kaufen, um sich dort ihren Traum vom Leben in den Weiten der nunmehr Geschichte gewordenen DDR zu erfüllen.

Veröffentlicht von on Nov 30th, 2020 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

Hinterlassen Sie einen Kommentar!