Lehrerseminar – Repetitorium – Kanzleramt

Deutsche Juristenbiographien, Teil 34: Kurt Georg Kiesinger (1904 – 1988)

Matthias Wiemers

Kurt Georg Kiesinger war der dritte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und nach Konrad Adenauer schon der zweite Jurist in diesem Amt.

Kurt Kiesinger wird im Jahre 1904 in einem kleinbürgerlichen Haus in dem Städtchen Ebingen auf der Schwäbischen Alp geboren. Wie das Gros ihrer Umwelt, ist auch das Leben der  Familie Kiesinger durch Armut geprägt; Kurt ist das älteste von sieben Kindern. Der Vater ist als kaufmännischer Angestellter tätig, wäre aber schon gerne Lehrer geworden. Von ihm erbt der älteste Sohn Kurt Georg die Leidenschaft zur Dichtung. Kurt Georg besucht zunächst die Volks-, dann die Realschule. Nach dem Abschluss wechselt er im Alter von 15 Jahren in das Lehrerseminar in Rottweil, mit dem Ziel, Volksschullehrer zu werden. Im Juli 1925 besteht er das Lehrerexamen mit glänzendem Ergebnis. Gefördert durch einen örtlichen Industriellen, der das dichterische Talent Kiesingers entdeckt hat, und weil keine Volksschullehrerstelen frei sind, wechselt Kiesinger im Wintersemester 1925/26 zunächst an die Universität in Tübingen, wo er pädagogische, historische und philosophische Studien betreibt. Da er kein Abitur hat, ist ein ordentliches Studium nicht möglich, so dass sich Kiesinger entschließt, das Abitur nachzuholen. Nach dem Abitur in Stuttgart wechselt Kiesinger zum Wintersemester 1926/27 an die Universität Berlin, wo er sich zunächst an der philosophischen Fakultät einschreibt. Bereits zum Sommersemester 1927 sattelt Kiesinger auf Rechts- und Staatswissenschaften um. In Berlin ist er, wie schon in Tübingen, Mitglied einer Katholischen Studentenverbindung, bei der zahlreiche katholische Politiker der damaligen Zeit ein- und ausgehen, darunter auch einmal Konrad Adenauer und der Apostolische Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Das Erste Staatsexamen besteht Kiesinger 1931 mit der Note „sehr gut“, ebenso wie 1934 das Assessorexamen. Über zunächst privat im Rahmen der Studentenverbindung veranstaltete Wiederholungskurse, die auch Mitgliedern anderer studentischer Korporationen offenstehen, wird Kiesinger ein gefragter juristischer Repetitor. Von einer Habilitation sieht der inzwischen promovierte Kiesinger nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ab, wird jedoch schon 1933 Mitglied der NSDAP. Er wird neben der Repetitortätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt tätig und während des Zweiten Weltkriegs dienstverpflichtet in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts, einer Art Nachrichten- und Propagandabehörde und Gegenspielerin des Goebbels´schen Propagandaministeriums. Zuletzt ist er stellvertretender Leiter der Abteilung. Nach Kriegsende, kurzzeitiger Internierung und Entnazifizierung, setzt Kiesinger zunächst seine Repetitoriumstätigkeit in Berlin fort und zieht sodann seiner Familie nach, die in Süddeutschland untergekommen ist. 1946/47 ist er kurzzeitig wieder Repetitor in Würzburg, übernimmt jedoch sodann Aufgaben in der neugegründeten Partei CDU. Bereits 1949 in den ersten Deutschen Bundestag gewählt, wird er schnell ein Starredner und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Nach dem Wechsel seines Parteifreundes Gebhard Müller vom Amt des Ministerpräsidenten des neuen „Südweststaats“ Baden-Württemberg auf den Stuhl des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1958 wird Kiesinger dessen Nachfolger. Zu den wesentlichen Resultaten seiner Amtszeit als Ministerpräsident rechnet Kiesinger selbst die Gründung der Universität Konstanz im Jahre Im Jahre 1966. In jenem Jahr kehrt er – nach innerparteilicher Meinungsbildung gerufen – als Bundeskanzler der ersten Großen Koalition in die Bundespolitik zurück. Nachdem er im Jahre 1969 zwar die meisten Stimmen für die CDU erzielen kann, muss Kiesinger mitansehen, wie sein Wunschkoalitionspartner FDP mit der SPD die Sozialliberale Koalition bildet. Zwischendurch einige Jahre auch Bundesvorsitzender der CDU, bleibt Kiesinger bis 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages. 1988 stirbt er in Tübingen.

Die Rolle Kiesingers im Dritten Reich wird seit seiner Kanzlerschaft kontrovers diskutiert. Berühmt geworden ist die Ohrfeige, die die Journalistin Beate Klarsfeld Kiesinger bei einem CDU-Parteitag im Jahre 1968 in Berlin versetzte.

Quellen:
Klaus Hoff, Kurt Georg Kiesinger, 1969
Kurt Georg Kiesinger, Dunkle und helle Jahre, Erinnerungen 1904 – 1958, 1989
Beate und Serge Klarsfeld, Erinnerungen, 2015

Veröffentlicht von on Dez. 28th, 2020 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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