Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
meine erste Bekanntschaft mit dem Medium Fernsehen machte ich in frühester Kindheit in den mittleren Siebzigerjahren. Damals war der Fernsehapparat noch ein großer Holzkasten, der nach dem Einschalten stets einige Minuten brauchte, bis sich endlich ein Bild zeigte, das dann auch nur schwarzweiß war und nicht selten flimmerte und flackerte. Und anders als das immer gestochen scharfe Bild unseres DDR-Fernsehens trug das deutlich interessantere Westfernsehen bei uns leider meistens eine Art körnigen Grauschleier, was aber auch von der Wetterlage abhängig war. Ein großer technischer Fortschritt war es dann, als ca. um das Jahr 1980 herum ein Farbfernseher angeschafft wurde. Wie staunte ich darüber, dass die Monster in der Sesamstraße, was ich vorher nie gedacht hätte, ganz überwiegend blau waren. Das Beste am neuen Farbfernseher aber war, dass man ihn jederzeit spontan anschalten konnte, und sofort zeigten sich ohne Wartezeit die bunten Bilder.
Diese schöne Zeit des Spontanfernsehens währte dann etwa 35 Jahre, so lange bis das gute alte Analogfernsehen abgeschaltet wurde. Seitdem fühle ich mich, was das Fernsehen betrifft, wieder in meine frühe Kindheit zurückkatapultiert, denn nun gleicht das Fernsehen wieder wie damals einem Geduldsspiel. Wenn es denn überhaupt mal funktioniert, denn zur Zeit geht es bei uns leider gar nicht mehr, zumindest nicht mit dem Fernseher. Dieser benötigt nämlich seit Abschaltung des Analogfernsehens zwingend einen ergänzenden schwarzen Kasten namens Receiver, der nach dem Einschalten – ganz so wie seinerzeit unser alter Schwarzweißfernseher – erst einmal mehrere Minuten braucht, um sich hochzufahren. Nach einigen Monaten war dieses Gerät dann auch schon kaputt. Mein Anruf bei Vodafone, der angesichts des ausgedehnten Ausharrens in der Warteschleife seinerseits ein Geduldsspiel war, ergab dann schließlich, dass sie uns kein neues Gerät schicken konnten, weil das alte in unserem Eigentum stünde und sie daher nicht dafür zuständig seien. Ich versuchte eine Online-Recherche nach dem passenden Gerät und fand heraus, dass es wohl wieder genau das alte sein musste, das beim Neukauf allerdings mehr als hundert Euro gekostet hätte. Also erwarb ich dieses Teil über Ebay zum halben Preis in gebrauchtem Zustand von jemandem, der es nicht mehr benötigte. Mit diesem Gerät konnten wir dann immerhin fast zwei Jahre lang ganz gut fernsehen. Wenn wir uns auch angesichts der jeweils langen Wartezeit beim Einschalten stets dreimal überlegten, ob es sich auch wirklich lohnen würde. Unser Fernsehkonsum ging mit der Zeit immer weiter zurück. Und dann passierte es: Der Ton beim Fernsehen setzte aus, zuerst nur manchmal, dann immer öfter. Einige Monate lang ließ sich dem abhelfen, indem man den Receiver einmal oder auch mehrmals neu startete, bis es wieder funktionierte. Die Folge war, dass die Fernsehsendung, die wir uns jeweils anschauen wollten, dann, als endlich der Ton wieder funktionierte, meistens auch fast schon wieder vorbei war. Seit einem halben Jahr hilft das Neustarten aber auch nicht mehr. Es kommt einfach kein Ton mehr an, wobei die Ursache nach meiner Untersuchung keineswegs unser alter Fernseher, sondern eindeutig der neue Receiver ist.
Sollten wir uns nun also zum dritten Mal solch einen zweifelhaften Kasten anschaffen? Inzwischen haben wir uns vorläufig anders geholfen, indem wir die wenigen Fernsehsendungen, die wir überhaupt noch anschauen (hauptsächlich die Nachrichten und die „heute show“) – mittlerweile haben wir uns das Fernsehen angesichts der fortwährenden Umstände und Schwierigkeiten nämlich schon weitgehend abgewöhnt – auf dem Laptop im Livestream oder aus der Mediathek der öffentlich-rechtlichen Sender verfolgen. Das hat immerhin den Vorteil, dass man nicht mehr unbedingt an die festen Zeiten der Ausstrahlung gebunden ist und sogar mit dem Fernsehbild in der Wohnung hin und herlaufen kann. Aber auf einem größeren Bildschirm wie früher wäre es dann doch schöner… Außerdem fängt das Bild, sobald man das Zimmer mit der WLAN-Quelle verlässt, zuverlässig an zu ruckeln und auszusetzen, obwohl wir das schnellste mögliche Internet haben, was mich dann auch wieder ungut an das Fernsehen vor vier Jahrzehnten erinnert… Diese Schwierigkeiten treten leider auch dann auf, wenn ich mit einem Spezialkabel, dass ich extra zu diesem Zweck erworben habe, den Laptop an unseren Fernseher anschließe, denn der Fernseher steht nicht im selben Zimmer wie der WLAN-Router. Vielleicht wäre ja ein neuer Fernseher mit bereits eingebautem Receiver und Internet-Zugang die Lösung. Aber unser alter Fernseher, immerhin mit Flachbildschirm, ist gerade erst elf Jahre alt und eigentlich noch sehr gut und passt sich vor allem optisch so schön ins Zimmer ein. Außerdem habe ich den starken Verdacht, dass so ein neuer Fernseher mit so viel technischer Ausstattung wahrscheinlich schon nach ebenso kurzer Zeit wieder kaputt gehen wird wie unsere Receiver… Die – wie man rückblickend sagen muss – goldenen dreieinhalb Jahrzehnte des ungetrübten Fernsehgenusses werden wohl so bald nicht wiederkommen!
Dein Johannes