Für den Methusalem des Strafrechts

Gedächtnisschrift für Herbert Tröndle

Matthias Wiemers

Juristen erreichen wie andere Menschen auch gelegentlich ein biblisches Alter. Hier besonders hervorzuheben ist Herbert Tröndle, mit dessen StGB-Kommentar, damals „Dreher/Tröndle“ genannt, der Rezensent sein Studium bestritt.
Tröndle war zwar auch Honorarprofessor, aber zunächst einmal war er Praktiker, zuletzt Präsident des kleinen Landgerichts in Waldshut-Tiengen im Schwarzwald. (Ein ehemaliger Kollege von mir, der dort seine Referendarzeit verbracht hatte, lobte einmal im Rückblick die dortige echte Schwarzwälder Kirschtorte mit reichlich Kirschwasser.)
Aber das beschauliche Waldshut war nur die letzte Station eines langen Lebenswegs. Und Herbert Tröndle hatte ein besonderes Interesse an einer Tatbestandsgruppe aus dem StGB, den Tötungsdelikten, oder – anders gewendet: am Lebensschutz bzw. den namentlich medizinrechtlich geprägten Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Er hat deshalb eine Reihe von Freunden gefunden, dich sich ihrerseits den Lebensschutz zum Ziel gesetzt haben. Und diese nun fanden sich zwei Jahre nach Tröndles Tod zusammen, um ihm anlässlich seines 100. Geburtstags eine Gedächtnisschrift zu widmen. Für den Medizinrechtler wie den Strafrechtler stellt nun diese Gedächtnisschrift eine wahre Fundgrube aktueller und grundlegender Überlegungen zu diesem o. g. Grenzgebiet dar.
Auf einen besonderen Titel für diese Gedächtnisschrift haben die Herausgeber verzichtet; sie haben aber natürlich versuchen müssen, dieses wahrhaft voluminöse Werk von über 1000 Seiten ein wenig zu gliedern.
Nachfolgend sollen wirklich willkürlich einige Beiträge aus dem Band herausgegriffen werden, um zu verdeutlichen, worum es in dem Band geht.
Der erste bemerkenswerte Beitrag findet sich im Abschnitt I. („Grundlagen des Rechts und internationale Bezüge“), worin Dr. med. Hans Thomas, früherer Direktor des Lindenthal-Instituts in Köln, mit seinem Beitrag eine These aufstellt: „Ethischer Relativismus unterwirft die Ärzte der Politik“. Darin schildert der Autor, ausgehend von der zweiten Abtreibungs-Entscheidung des BVerfG von 1993, wie sich ethischer Relativismus in der politischen und rechtlichen Praxis der Bundesrepublik entwickelt hat, wobei im Mittelpunkt der Abhandlung das Berufsethos des Arztes und der Arztvorbehalt im Medizinrecht stehen.
Im zweiten Teil („Verfassungsrechtliche und strafrechtliche Grundfragen“) ist die vielleicht letzte Veröffentlichung Martin Krieles enthalten (, der am 19. 10. 2020 starb). Kriele, der zu Beginn feststellt, dass Tröndle in seinem Kommentar immer mal wieder habe durchblicken lassen, dass er – entgegen dem BVerfG – vom Vergeltungsgedanken im Strafrechts nichts halte, mustert im Folgenden zahlreiche Lehren des Strafrechts auf ihre Schlüssigkeit und Reformbedürftigkeit durch. Keine besonderen Erkenntnisse, würde ich sagen. Gleichwohl: Dem Öffentlichrechtler, der auf das Strafrecht blickt, ist nicht stets das StGB im Detail vor Augen, d. h. er blickt darauf teilweise wie ein Bürger, dem dieses auch nicht so geläufig ist (Bsp. Ziffer 14 bei Kriele: „Kommt es auf die Volksmeinung an?“)
Der dritte Teil des Bandes ist schließlich dem „Medizinrecht“ (III.) gewidmet. Hier möchte ich einen Beitrag von Christian Pestalozza hervorheben, der sich auseinandersetzt mit dem Thema „Unrechte gruppennützige medizinische Forschung an nicht einwilligungsfähigen volljährigen Kranken“. Der Beitrag ist deshalb von Relevanz, weil das Gesamtthema in einer geradezu unglaublichen Weise an einer unvollständigen Digitalisierung auf EU-Ebene hängt. Denn die einschlägige EU-Verordnung (EU) Nr. 536/2014 ist bis heute nicht wirksam geworden, weil man auf eine Vollzugsmeldung der EU-Kommission wartet, die ein neues Online-Portal über klinische Studien als funktionabel meldet (bis Ende dieses Jahres wird damit gerechnet), und weil erst danach nicht nur die EU-Verordnung, sondern auch der schon vor Jahren neugefasste 6. Abschnitt des Arzneimittelgesetzes in Kraft tritt. Pestalozzas Thema ist in jüngerer Zeit wieder in das öffentliche Bewusstsein gekommen, weil u. a. entsprechende Experimente der DDR im Auftrag westlicher Pharmaunternehmen bekannt geworden sind. Pestalozza gibt in seinem Beitrag einen Überblick über einschlägige Regelungen im Medizinprodukterecht, Arzneimittelrecht und Strahlenschutzrecht und bewertet hierbei nicht nur, wie die Teilrechtsgebiete das Problem lösen, sondern auch, wie deutsche Gesetzgeber mit den zunehmenden supra- und internationalen Anforderungen umgehen.
Im Abschnitt IV. zum „Lebensschutz am Lebensende“ interpretiert Albin Eser die „Regulierung des Lebensendes zwischen Heiligkeits- und Selbstbestimmungspostulaten – aus der Sicht von Herbert Tröndle“. Dies ist der wohl biographischste Beitrag des Bandes. Abschnitt V. ist dem Schutz des ungeborenen Lebens gewidmet. Hierin ist der Beitrag von Klaus-Ferdinand Gärditz hervorzuheben, der zwar einerseits ein Universalist des Öffentlichen Rechts genannt werden kann, andererseits – schon aus seiner Herkunft als Schüler von Hans-Ulrich Päffgen, auch auf strafrechtlichem Gebiet zu Hause ist. In seinem Beitrag über „Kompromissloses Strafrecht?“ legt Gärditz dar, dass dies eigentlich nicht der Fall ist, dass aber – im Sinne Tröndles – die „offene, engagierte Austragung der Konflikte im demokratischen Prozess“ notwendig ist.
Der nächste Abschnitt betrifft „Todesfeststellung und Transplantationsmedizin“. Hier scheint mir gleich der erste Beitrag besonders instruktiv: „Wer definiert den Tod des Menschen? Die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Feststellung des Hirntodes von 1982 bis 2015“ von Axel W. Bauer und Jila Hosseini referiert diese Entwicklung eines Kriteriums, das für die Organentnahme zentral ist. Der Beitrag schließt mit den folgenden Worten: „So verständlich und notwendig die empfängerzentrierte Sichtweise auf das Thema Organtransplantation auch sein mag, so deutlich muss aus ethischer Perspektive vor einer Blickverengung gewarnt werden, bei der die Besonderheit dieses Behandlungsverfahrens nicht mehr beachtet würde: Einen rechtlichen oder auch nur moralischen Anspruch auf die Überlassung fremder Organe, die konstitutiver Teil einer anderen Person waren oder sind, kann es um der Würde des Menschen willen, die auch die Würde des Organspenders und unser aller Würde mit umfasst, nicht geben. Insofern müssen sich Medizin und Gesellschaft bei allem Fortschrittsoptimismus auf diesem Feld auch künftig in eine gewisse Selbstbegrenzung ihrer Wünsche fügen.“ Der Band schließt mit „Sonderfragen des Strafrechts“ (VII.), unter denen sich gleich zu Beginn Christian Hillgruber mit dem Ehrenschutz als besonderem Anliegen Herbert Tröndles widmet: „Die persönliche Ehre und die Autorität der Bundesrepublik Deutschland als Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit. Zur Bedeutung und zum Verhältnis von Ehren- und Institutionenschutz unter dem Grundgesetz“. Dem Autor gelingt es hierbei, den Ehrenschutz als verfassungsgeboten zu rekonstruieren und zeigt zum Schluß auch auf, wie wichtig der Ehrenschutz gegenwärtig im Hinblick auf den „Tatort Internet“ geworden ist.
Nach diesen zugegeben willkürlichen Streiflichtern sei betont, dass das Beispiel Tröndles lehrt, wie man trotz Eingebundenseins in eine staatliche (Gerichts-)Organisation seine persönliche Überzeugung nicht hinter sich lassen muss. Dies ist in unserer Gegenwart, die zunehmend sprachpolizeilich unterwegs ist – auch wenn natürlich niemand in unserer Demokratie wegen Meinungsäußerungen die körperliche Verfolgung fürchten muss – ein wichtiges und leuchtendes Beispiel. Gedankt sei dem Verlag, der die Herausgabe dieser Festschrift ermöglichet hat.

Gedächtnisschrift für Herbert Tröndle, herausgegeben von Rainer Beckmannn, Gunnar Duttge, Klaus Ferdinand Gärditz, Christian Hillgruber und Thomas Windhöfel, Duncker & Humblot, Berlin 2019, 1030 S., 179,90 Euro (ISBN 978-3-428-15739-6)

Veröffentlicht von on Mai 24th, 2021 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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