Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
eigentlich bin ich kein gläubiger Mensch, aber dennoch steigt manchmal der starke Wunsch in mir auf, es sollte so etwas wie eine Hölle geben. Zwar würde ich – anders als mein berühmter Autorenkollege vor gut 700 Jahren – nicht ganze Heerscharen von Zeitgenossen der ewigen Verdammnis anheimfallen lassen. Den einen oder anderen sollte es aber schon treffen. Diesen österreichischen Plagiatsjäger zum Beispiel, der fortwährend Annalena Baerbock attackiert. Der durchforstet in seiner Freizeit die Bücher, die seine Mitmenschen geschrieben haben, nur um ihnen nachzuweisen, dass sie irgendwelche Passagen von irgendwo übernommen haben. Sein Hobby dient einzig und allein dem Zweck, anderen zu schaden, sie an den Pranger zu stellen. Für mich steht das auf einer Stufe mit Abmahnanwälten, über die ich mich auch nur im Schutze der Anonymität dieser Kolumne zu äußern wage. Die sollten, wenn es nach mir ginge, ebenfalls alle miteinander für immer und ewig in der Hölle schmoren. Und mit ihnen auch sonstige Denunzianten gleichwelcher Art. Solche Leute wissen nichts Besseres mit sich anzufangen, als anderen Menschen das Leben zur Hölle zur machen. Und darum wären sie an einem solchen Ort, wenn es ihn denn gäbe, auch bestens aufgehoben.
Natürlich gibt es noch weitere Kandidaten für die ewige Verdammnis, aber bei denen wäre ich zurückhaltender. Immobilienmakler zum Beispiel. Zwar ist deren Geschäftsmodell nach meiner Meinung eine Art von Wegelagerei: „Ihr kommt nur an eure Wohnung, wenn ihr mich fürstlich dafür bezahlt, dass ich euch die Tür aufschließe.“ Aber immerhin muss man als Käufer ja neuerdings nur noch die Hälfte dieser unverschämten Gebühr abdrücken. Die andere Hälfte zahlt nun der Verkäufer als Auftraggeber. Zuzugeben ist, dass der Makler allen Beteiligten einen gewissen Papierkram abnimmt. Dennoch werde ich wohl nie begreifen, warum man auch nur einen Cent für etwas bezahlen soll, das man gar nicht bestellt hat und ebenso gut selbst erledigen könnte.
Auch Klima-Sünder und andere Umwelt-Schweine sind natürlich Anwärter für einen Platz in der Unterwelt: Vielflieger, SUV-Fahrer, Swimmingpool-Besitzer, Kapsel-Kaffee-Trinker, Täglich-Fleisch-Esser, mehr als 100 qm-pro-Person-Bewohner… Ebenfalls erfreuen sich neben den Immobilienmaklern noch weitere Berufsgruppen hierzulande keiner großen Beliebtheit, und nicht wenige sähen sie liebend gerne in der Hölle schmoren: Investmentbanker etwa, Betreiber von Senioren-Residenzen oder Bestattungs-Unternehmer. Doch gibt es regionalspezifische Unterschiede. Hier in Berlin wird mutmaßlich auch jedem Vermieter ein Platz im Inferno zugedacht. Einen ähnlich schlechten Ruf hatten bis vor wenigen Jahren in ganz Deutschland, außer vielleicht in Frankfurt am Main, auch Aktionäre, und man wünschte sie gemeinhin zur Hölle.
Je länger man darüber nachdenkt, desto größere Abgrenzungsprobleme tun sich auf. Was ist mit den Personengruppen, für die man die Hölle vor Jahrtausenden eigentlich erfunden hatte? Lügner, Fremdgänger, Ehebrecher, Lüstlinge jeder Art… Vor allem aber Ungläubige. Oder noch schlimmer: Abweichler, die in irgendwelchen Nebensächlichkeiten andere Auffassungen vertreten haben. Man muss es sich wohl eingestehen, dass das ganze Konzept der Hölle, das schon von Anfang an sehr ideologisch aufgeladen war, bis heute, zurückhaltend gesagt, überaus subjektiv geblieben ist. Oder wie es ein bekannter Existenzialist vor langen Jahren auf den Punkt gebracht hat: Die Hölle, das sind immer die anderen.
Dein Johannes