Der Anschlag auf das britische King David Hotel in Jerusalem am 22. Juli 1946 war unter jüdischen Widerstandsaktivisten höchst umstritten – und ebnete vor 75 Jahren den Weg zur Gründung Israels
Benedikt Vallendar
Ja, es stimmt. Historische Vergleiche sind mitunter so eine Sache. Doch manchmal liegen sie tatsächlich auf der Hand. Denn nur selten kommt es vor, dass, wie im vorliegenden Fall, eine militärische Operation unmittelbar in die Gründung eines neuen Staates mündete. So war es 1871 bei der Gründung des deutschen Kaiserreichs mit dem Krieg gegen Frankreich. Und so war es auch am 22. Juli 1946 mit dem Anschlag jüdischer Untergrundkämpfer auf das britische King David Hotel in Jerusalem, bei dem 91 Menschen starben, Großbritannien seine Truppen aus Palästina abzog, wodurch die Staatsgründung Israels nicht mehr aufzuhalten war. Heute zählt das King David zu den exklusivsten Adressen Israels, in dem auch die überlebenden Attentäter noch bis vor wenigen Jahren gern gesehene Gäste und Vortragsredner waren.
Unterschiedliche Vorstellungen
So frappierend die historische Analogie zwischen Bismarcks Reichsgründung und der Gründung Israels auch sein mag, so komplex gestalteten sich die Abläufe hinter den Kulissen, die den Anschlag auf das Hotel befördert hatten und bis heute unter israelischen Historikern für Diskussionsstoff sorgen. Das Problem: Mit der Entscheidung für den Anschlag durch die jüdische Untergrundgruppe Irgun, mit dem Ziel, die Briten zum Abzug aus Palästina zu bewegen, hatten die anderen, ebenfalls im Untergrund operierenden Gruppen der jüdischen Selbstverwaltung einen schweren Stand. Denn höchst unterschiedlich waren ihre Vorstellungen von einem künftigen Staate Israel. Und höchst unterschiedlich ihre Strategien, die im Fall der Lechi sogar eine Zusammenarbeit mit Nazideutschland in Erwähnung zogen, mit dem Ziel, die Briten loszuwerden. Allein es einte die Gruppen das Trauma der Shoa und der Traum von einer politisch-militärisch abgesicherten Heimstätte für alle Juden, wie auch immer diese aussehen sollte. Tote sollten vermieden werden, hieß es, was aber angesichts der Monstrosität des Vorhabens von vornherein illusorisch war und den Erfolg der Operation infrage gestellt hätte. Am Ende obsiegte die Irgun unter ihrem Anführer Menachem Begin, der Jahrzehnte später den Friedensnobelpreis erhielt und 1982 mit dem Einmarsch in den Libanon dem Terror der PLO unter ihrem damaligen Anführer Jassir Arafat einen empfindlichen Schlag versetzte.
Unter der Knute des Zaren
Begin stammte aus Russland und erlebte als Jugendlicher Verfolgung und Diskriminierung. Erst 1942 kam er, noch keine dreißig, nach Palästina. „Sein Zorn auf all jene, die das Judentum ausrotten wollten, haben Begins Aufstieg maßgeblich mitbestimmt“, sagt der Jurist und Immobilienmakler Eduardo Martínez Moriano (45), der in Israel für eine IT-Firma gearbeitet hat und heute in New York lebt.
Zwar schlägt die britische Mandatsverwaltung nach dem Anschlag zurück, beschlagnahmt Waffen und Munition, doch entscheidend treffen kann sie die Gruppe nicht mehr. Immer offensichtlicher zeigte sich, dass die jüdische Bevölkerung Palästinas nicht nur zahlenmäßig gewachsen, sondern auch immer besser organisiert war und damit in Eigenregie die D.N.A. für einen eigenen Staat entwickelt hatte.
Vorlage für Hollywood
Der Anschlag selbst war kinoreif. In sieben Milchkannen à 50 Kilo hatte die Irgun den selbst gemischten Sprengstoff gepackt. Sechs Männer, in arabischen Gewändern verkleidet, standen morgens am Lieferanteneingang bereit, um die Kannen entgegenzunehmen, sobald ein Kleinlaster den Kontrollposten am Hoteleingang passiert hatte. Denn das siebenstöckige, damals erst 15 Jahre alte Haus war nicht nur die erste Adresse für Jerusalem-Besucher, sondern beherbergte in seinem südlichen Flügel auch mehrere Abteilungen der britischen Verwaltung für das Mandatsgebiet Palästina.
Damit war das Hotel ein Ziel für militärische Angriffe, deren Akteure sich damals buchstäblich die Klinke gaben. Arabische Gruppen, die den jüdischen Zuzug nach Palästina bremsen wollten, ebenso wie jüdische Einheiten, die mit Anschlägen auf britische Ziele (und Araber) das Ziel des Zionismus, einen jüdischen Staat auf palästinensischem Boden zu gründen, befördern sollten. Warum das Ganze ausgerechnet mit Terror geschehen sollte, blieb das Geheimnis der Irgun. Doch Anführer Begin erwies sich als willensstarker Taktiker und charismatischer Visionär. Der Angriff auf das King David sollte seine größte Aktion werden, bei der jedoch mitnichten alles glatt lief. Denn auf dem Weg in den Lagerraum machten die Irgun-Männer großen Lärm. Da dort ein Funkraum der britischen Truppen lag, schaute ein Offizier heraus und schöpfte bei der unüblichen Massenlieferung Milch sofort Verdacht. Es kam zu einer Schießerei, bei der zwei Soldaten starben und mehrere Irgun-Mitglieder verwundet wurden, einer tödlich. Das hinderte die Irgun-Leute jedoch nicht, die TNT-Ladungen wie geplant an den tragenden Säulen des Südflügels zu platzieren und Zeitzünder scharf zu stellen. Eilig verließen sie kurz darauf das Gebäude und gaben zwei draußen wartenden Frauen das Signal, die Redaktion der „Palestine Post“, die französische Botschaft und die Hotelrezeption anzurufen, um das Hotel zu evakuieren. Ihre Botschaften waren unmissverständlich: „Ich spreche im Namen des hebräischen Untergrundes! Wir haben eine Bombe im Hotel gelegt! Evakuieren Sie sofort! Sie sind gewarnt!“, rief eine der Frauen in die Sprechmuschel und legte auf.
Kurze Zeit später, etwa gegen 12.25 Uhr, zündeten die Irgun vor dem Hotel kleinere Sprengladungen, um Panik zu erzeugen. Etwa 20 Minuten nach den Warnanrufen, genau um 12.37 Uhr, detonierten die sieben „Milchkannen“ und ließen die eine Hälfte des Südflügels einstürzen. Die Bilanz war verheerend. Unter den Toten befanden sich 28 Briten und 17 Juden, was bis heute zu den Geburtsfehlern der Staatsgründung Israels zählt.
Auch das Attentat selbst löste einen Schock aus, und das weltweit. „Weniger wegen der Zahl der Opfer, als vielmehr wegen der Form der Gewalt“, so Israel-Experte Eduardo Martínez Moriano. Auch die jüdische Vertretung in Palästina, die Jewish Agency, verurteilte den Anschlag. Er behindere den Weg zu einem jüdischen Staat, hieß es. Verantwortlich sei eine „Bande Krimineller“. In einem Bekennerschreiben behauptete hingegen die Irgun, man habe keinen solchen Schaden anrichten wollen und gerade deswegen ja vorher gewarnt. Weil man zwischen 12.10 und 12.15 Uhr drei Warnungen abgesetzt habe und bis zur Detonation somit mindestens 22 Minuten Zeit zur Evakuierung geblieben waren, liege die „Verantwortung für den Verlust an Leben unter Zivilisten ausschließlich bei den britischen Behörden“. Zudem gab die Irgun bekannt: „Wir trauern um die jüdischen Opfer; sie sind die tragischen Opfer des so tragischen wie edlen hebräischen Befreiungskrieges.“
Und doch war die Irgun unter jüdischen Organisationen, den legalen wie den illegalen, isoliert. Menachem Begin ließ weitere Attentate verüben und sah sich kurz darauf auf internationalen Fahndungslisten wieder; Umstände, die seine Karriere nur übergangsweise ausbremsten. Nur wenige Jahre später zog er als konservativer Abgeordneter in die Knesset ein und wurde im Mai 1977 israelischer Ministerpräsident – für immerhin sechs Jahre.
Auch für die Irgun endete der Anschlag glimpflich. Denn nur knapp zwei Jahre nach dem Attentat ging sie in den Streitkräften Israels auf. Und bis heute bildet das Militär das Amalgam, das die heterogene, israelische Gesellschaft zusammenhält – wie einst das von Bismarck geschaffene Reich, in dem der Marineanzug gar zur Schuluniform mutierte.