Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
in früheren Zeiten glaubten die Menschen – oder zumindest einige verpeilte Intellektuelle – an eine übermächtige Kraft, die das menschliche Geschehen auf Erden unsichtbar und unaufhaltsam in Richtung Fortschritt lenkt. Wenn die Dinge sich jedoch manchmal exakt in die andere Richtung entwickelten, dann nannten sie das eine „List der Vernunft“, denn mitunter muss man ja schließlich auch mal einen Schritt zurückgehen, um besser Anlauf für die nächsten großen Ziele nehmen zu können. So gesehen waren die acht düsteren Jahre, in denen die Vereinigten Staaten von Amerika unter der erratischen Herrschaft eines George W. Bush vor sich hindümpelten, nur die notwendige Bedingung dafür, dass anschließend – weil die Wähler keinen weiteren alten weißen Mann mehr ertragen konnten – endlich einmal ein noch relativ junger Schwarzer zum US-Präsidenten aufsteigen konnte, was ja unbestritten als ein großer Fortschritt anzusehen war. Selbst der anschließende abermalige Rücksetzer in Form der vierjährigen Chaos-Präsidentschaft unter Donald Trump wirkt im Lichte jener Theorie nur wie das unverzichtbare Vorspiel zur ersten Frau im quasi höchsten Amt der Welt, die nach dem absehbaren Intermezzo des moderat progressiven, aber auf die Achtzig zugehenden Joe Biden alsbald das Ruder übernehmen dürfte.
Hierzulande tritt der Weltgeist, vorausgesetzt dass wir ihn uns nicht doch bloß einbilden, noch viel entschiedener auf als jenseits des Atlantiks, hat er uns doch in mehr als siebzig Jahren Bundesrepublik bisher ausnahmslos recht ordentliche Bundeskanzler beschert und von Totalausfällen an der Spitze des Staates verschont. (Wobei es die, das wollen wir nicht verschweigen, dafür umso mehr im sozialistischen Teilstaat im Osten gegeben hat, um von den zwölf Jahren vor der deutschen Teilung gar nicht erst zu reden. Aber vielleicht brauchte es das ja alles, welch ein frivoler Gedanke!, um zur andauernden bundesrepublikanischen Herrlichkeit zu gelangen.)
Und jüngst hat sich ein gescheiterter Kanzler-Kandidat und heutiger Bundestags-Hinterbänkler in dieser Hinsicht sogar besonders verdient gemacht: Es ist noch viel zu wenig gewürdigt worden, welche bleibenden Verdienste sich Armin Laschet um unser Land erworben hat, indem er nacheinander zuerst einen skrupellosen deutschtümelnden Marktideologen und danach einen schamlos opportunistischen Populisten mit unverbesserlichem Hang zu Schmutzeleien jeder Art glorreich besiegt, d.h. vor allem auch beide als Kanzler verhindert, und dann – selbst ausgelaugt von diesen Kämpfen – dem besten und geeignetsten Kandidaten von allen, nämlich dem Kandidaten der Sozialdemokratie, das Feld überlassen hat, der es aber ohne diese Schützenhilfe mittels der Selbstdemontage der bisherigen Kanzlerinnenpartei gewiss niemals in dieses Amt geschafft hätte, zumal er ja auch noch mit einem Klotz am Bein in Form seiner eigenen Partei operieren musste, die sich gerade mit ihrer Doppelspitze auf linksideologische Abwege begeben hatte… Man könnte Armin Laschet so gesehen also als eine Art Verkörperung des Weltgeistes begreifen, der letztlich alle Dinge in die richtige Richtung gelenkt hat. Und wenn ihm dafür schon keiner dankt, dann will wenigstens ich das übernehmen. Also danke, Armin!
Dein Johannes