Liberaler Justizreformer und Bürger in vier Systemen

Deutsche Juristenbiographien, Teil 42: Eugen Schiffer (1860-1954)

Matthias Wiemers

Eugen Schiffer war ein liberaler Politiker, Reichsjustizminister in der Weimarer Republik und Justizreformer. Sein langes Leben umfasste Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und frühe Bundesrepublik.
Eugen Schiffer wird im Februar 1860 in Breslau, damals Preußen, als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Bereits 1877 besteht er das Abitur und beginnt anschließend einen Dienst als Einjährig-Freiwilliger beim Militär. Aufgrund einer Verletzung muss Schiffer den Militärdienst schon nach einigen Monaten beenden und beginnt sodann in seiner Heimatstadt das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften. Nach Semestern in Leipzig und Tübingen legt Schiffer bereits am 8. Juni 1880 in Breslau das Referendarexamen ab. Ein mit „gut“ bewertetes Assessorexamen führt ihn ab 1885 für drei Jahre als (unbezahlten) Gerichtsassessor nach Hoyerswerda. Als Einschub sei erwähnt, dass Assessoren, die noch nicht zum „Rat“ ernannt waren und deshalb noch nicht auf einer Planstelle saßen, seinerzeit unbezahlt arbeiten mussten. 1888 wird Schiffer, der als Jude nur zur unteren Gerichtsbarkeit zugelassen wurde, für zehn Jahre Amtsrichter im oberschlesischen Zabrze (später umbenannt in Hindenburg). Nach der Eheschließung mit Berta Buttermilch, die bereits 1919 stirbt, werden vier Kinder geboren, und die Familie lässt sich im Jahre 1896 taufen. 1899 nach Magdeburg versetzt, erfolgt bereits 1900 die Beförderung zum Landgerichtsrat. Im Jahre 1910 wird Schiffer Kammergerichtsrat und Richter am preußischen Oberverwaltungsgericht in Berlin. Seit 1903 Abgeordneter des preußischen Landtags für die Nationalliberale Partei, wird Schiffer 1912 daneben auch Mitglied des Reichstags. Im Landtag bleibt er – mit Unterbrechungen bis 1924 – ebenso im Reichstag. Gegen Ende des Krieges zunächst Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt, wird Schiffer nach Kriegsende Staatssekretär und Reichsminister der Finanzen. Hier bereitet er die später mit dem Namen Matthias Erzbergers verbundene Finanzreform vor, die vor allem auch eine Organisationsreform der Finanzverwaltung war. Das Kriegsende bringt die Spaltung der nationalliberalen Partei in DDP und DVP. Schiffer wird Vorsitzender der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei. 1919 wird Schiffer schließlich für ein halbes Jahr Vizekanzler und Reichsjustizminister. Ein Jahr später wird er erneut für kurze Zeit Justizminister. Bis 1924 Abgeordneter, ist Schiffer weiter in Fragen der Innen- und Justizpolitik tätig. Seine justizreformerischen Ansichten fasst er zusammen in dem im Jahre 1928 erschienenen Buch „Die deutsche Justiz – Grundzüge einer durchgreifenden Reform“. Darin kann Schiffer umfangreiches Material aus seiner parlamentarischen Tätigkeit verarbeiten. Das Buch, das im Ergebnis auf eine Vereinfachung der Justiz und einen Abbau der Entfremdung zwischen dem Volk und Recht und Justiz zielt, wird 1949 „völlig umgearbeitet“ neu aufgelegt.
Während des „Dritten Reichs“ wird Schiffer, der mit seiner Tochter Marie lebt und schon zu Beginn alle ihm verbliebenen Ämter verliert, mehrfach zu Umzügen genötigt und muss als konvertierter Jude den gelben Stern tragen, bleibt aber von weitergehenden Verfolgungsmaßnahmen unbehelligt. Nach Zusammenbruch des Naziregimes gründet Schiffer die Liberaldemokratische Partei (LDPD), die bis zum Ende der DDR als eine der „Blockparteien“ bestehen sollte. Vom 1. August 1945 bis 31. August 1948 wird der politisch Unbelastete von der sowjetischen Militäradministration als Leiter der Justizverwaltung in der Sowjetischen Besatzungszone eingesetzt. Eugen Schiffer stirbt am 5. September 1954 in seiner Westberliner Wohnung in der Mommsenstraße 52 – seit seinem 30. Lebensjahr bis zum Schluss publizistisch tätig und in Ost- und Westdeutschland Spuren hinterlassend.

Quellen:
– Joachim Ramm, Eugen Schiffer und die Reform der Deutschen Justiz, Neuwied u. Darmstadt, 1987
– ders., Eugen Schiffer (1860-1954). Wegebereiter der Justizreform, in: Heinrichs/ Franzki/Schmalz/Stolleis, Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, S. 455 ff.
– Dietrich Goldschmidt, Eugen Schiffer – ein Leben für liberale Politik und volksnahes Recht, in: Hallesche Rechtsgelehrte jüdischer Herkunft, S. 69 ff.

Veröffentlicht von on Nov 22nd, 2021 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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