Die Geburt der „Ukrainians“ aus dem Geiste des John Peel

„The Complete Ukrainian Peel Sessions“ von The Wedding Present aus den Jahren 1987-1989

Thomas Claer

Das war mal wieder einer dieser völlig verrückten Einfälle des legendären BBC-Moderators John Peel (1939-2004), damals vor dreieinhalb Jahrzehnten. Während seiner über vierzigjährigen Radiolaufbahn förderte er in seinen enorm einflussreichen Musiksendungen immer wieder neue, ungewöhnliche Musikstile und insbesondere noch unbekannte Indie-Bands. Seinen ausgesucht-ausgefallenen Geschmack zu treffen, war seinerzeit das Beste, was aufstrebenden Künstlern passieren konnte. Denn er lud die glücklichen, von ihm ausgewählten Musiker regelmäßig zu seinen „Peel-Sessions“ ein, in denen sie dann im BBC-Studio unter seiner kundigen Anleitung ein paar Songs einspielten. Und so hatte er also auch die 1985 in Leeds gegründete Rockformation „The Wedding Present“ zu sich ins Studio gebeten, als deren ukrainischstämmiger Gitarrist Peter Solowka in der Pause zwischen den Aufnahmen mal eben ein ukrainisches Volkslied vor sich hin spielte. Diese Klänge versetzten John Peel augenblicklich in ein solches Entzücken, dass er darauf bestand, dass die Band Wedding Present bei nächster Gelegenheit bei ihm eine Session nur mit ukrainischen Folk-Songs aufnehmen sollte. Flugs wurde in Len Liggins noch ein passender Sänger mit dröhnender Bass-Stimme engagiert, der auch die Geige vortrefflich zu spielen wusste. Hinzu kamen Schlagzeug, E-Gitarre und Mandolinen. Und heraus kam die 1990 erschienene EP „Ukrainski vistupi v Iwana Peela“ („Die ukrainischen John-Peel-Sessions“), die mit über 70 000 verkauften Exemplaren in Großbritannien ein Überraschungs-Erfolg wurde. Diese Songs leben von ihrer puren Energie. Und genau darin liegt auch die Überschneidung zwischen slawischer Folklore und dem Punk-Rock der Achtzigerjahre.

Allerdings entzweite dieses fulminante Crossover die Wedding-Present-Fans dann doch. Der eine Teil von ihnen war begeistert, der andere wendete sich ab. Ähnlich gespalten waren die Bandmitglieder. Und so kam es, dass nach diesem erfolgreichen Experiment Solowka und Liggins „The Wedding Present“ den Rücken kehrten und eine neue Band ins Leben riefen, die fortan nur noch ukrainischen Folk-Punk spielte, während der Rest der Band wieder so weitermachte wie zuvor. Mittlerweile gibt es schon seit über drei Jahrzehnten „The Ukrainians“, deren Repertoire neben traditionellen Songs im Punk-Style auch aus einer Menge ähnlich gestrickter Eigenkompositionen sowie ukrainischen Cover-Versionen bekannter Pop-Songs besteht.

Die Anfänge der „Ukrainians“, die besagten Peel-Sessions der Jahre 1987-1989, sind nun in einer gegenüber der damaligen Veröffentlichung um drei Songs erweiterten Version wieder erhältlich. Wobei diese drei Songs den meisten Fans schon von den späteren Ukrainians-Alben bekannt sein dürften, allerdings nicht in diesen Versionen. Als Sahnehäubchen gibt es dazu noch eine DVD mit rarem Filmmaterial aus jener Zeit sowie einem nostalgisch zurückblickenden Interview mit den Bandmitgliedern. Genau genommen ist diese Wiederveröffentlichung aber gar nicht erst jetzt erschienen, sondern schon vor fast drei Jahren. Doch wann, wenn nicht in diesen Tagen nach Putins abscheulichem Überfall auf die Ukraine und anlässlich ihrer tapferen Gegenwehr, sollte man auf dieses großartige Album hinweisen? Das Urteil lautet: sehr gut (16 Punkte).

The Wedding Present
The Complete Ukrainian Peel Sessions (Remastered)
CD + DVD
USM Verlag 2019
ASIN: B07PRZJCC5

Veröffentlicht von on Mrz 7th, 2022 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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