Mehr als eine Jugendsünde

Vor zehn Jahren erschien „Herz aus Gold“, das Debüt von „Die Heiterkeit“

Thomas Claer

Je älter man wird, desto schwieriger ist es bekanntlich, noch irgendetwas zu finden, das einen vom Hocker reißt. Man denkt dann: Seltsam, früher gab es so unendlich viel aufregende Musik, und die Helden von einst findet man ja auch weiterhin gut – oftmals sogar das, was sie heute noch fabrizieren. Aber unter den Newcomern der, sagen wir, letzten zwei Jahrzehnte, da ist doch kaum noch etwas Interessantes dabei gewesen. Und das, obwohl ich mich doch nun wirklich bemüht habe: Sobald mal wieder im Feuilleton ein neuer Superstar oder Geheimtipp abgefeiert wurde, habe ich umgehend seinen Namen in die YouTube-Maske eingegeben, um ihn mir mal anzuhören. Aber spätestens nach ein paar Minuten gab ich es in der Regel wieder auf. Selbst an Billie Eilish, der man ein gewisses Charisma in der Tat nicht absprechen kann, vermag ich musikalisch beim besten Willen nichts Erbauliches zu finden. Schwer zu sagen, ob das wirklich am schwachen Niveau der jüngeren Akteure oder eher an der altersbedingt stark nachlassenden Begeisterungsfähigkeit des Rezensenten liegt…

Immerhin drei in den letzten beiden Dekaden angetretene Pop-Musikerinnen, von denen ich große Stücke halte, (aber – warum auch immer – kein einziger männlicher Akteur!) fallen mir noch auf die Schnelle ein: Lana Del Rey, Maike Rosa Vogel und Stella Sommer. Und von letzterer soll hier nun die Rede sein, genauer gesagt vom Frühwerk ihres grandiosen Bandprojekts „Die Heiterkeit“, das aus den beiden Alben „Herz aus Gold“ (2012) und „Monterey“ (2014) besteht. Natürlich muss man wissen, dass sich hinter „Die Heiterkeit“ im wesentlichen auch nur Stella Sommer verbirgt, denn ähnlich wie auf ihren beiden exzellenten späteren Solo-Platten hat sie auch bei „Die Heiterkeit“ nur ein paar Musikerinnen (und nur vereinzelt auch männliche Musiker) um sich geschart, die sozusagen nach ihrer Pfeife tanzen. Und der entscheidende Unterschied zwischen Band- und Solo-Projekt ist auch nur der, dass bei „Die Heiterkeit“ auf Deutsch gesungen wird und bei Stella Sommer solo auf Englisch, aber selbst hiervon gibt es Ausnahmen…

Das Frühwerk von „Die Heiterkeit“ also, für das sich wohl hauptsächlich jene interessieren dürften, die bereits durch die späteren Glanzlichter „Pop & Tod, I +II“ (2016) und insbesondere „Was passiert ist“ (2019) auf den Geschmack gekommen sind… (Wir haben damals jeweils an dieser Stelle darüber berichtet.) Da ist also zunächst einmal das vor genau einem Jahrzehnt erschienene Debüt „Herz aus Gold“, das sich zwar noch nicht unbedingt als künstlerischer Höhepunkt, aber doch zweifellos schon als interessanter Versuch ansehen und anhören lässt. Hier und da gibt es schon recht gelungene Details, doch fehlt oftmals noch das Zündende, vor allem bei den Texten. Man spürt, dass diese Platte weit weniger als alle Folgenden von Stella Sommer dominiert wurde und wie die Musikerinnen hier um ihren Stil ringen, den sie noch nicht vollständig gefunden haben. Musikalisch bestimmen Schrammel-Gitarren das Bild. In den Songtexten herrscht noch eine Art jugendlicher Ironiezwang. Das große Pathos wird, anders vor allem als auf der großartig-opulenten „Was passiert ist“ (2019), noch gescheut. Auch steht Stella Sommers überwältigende Stimme hier noch längst nicht so im Vordergrund, wie es auf ihren späteren Alben der Fall sein wird.

Die interessantere der beiden frühen Platten ist aber „Monterey“. Dort gibt Stella Sommer bereits unverkennbar den Ton an, dominiert das Album auch stimmlich. Und sie versucht sich gleich mehrfach an dem, was später ihre besondere Spezialität werden wird: am elegischen Liebeslied. Der mit Abstand stärkste Song des Albums ist sein letzter, „Pauken und Trompeten“. Er hat bereits alles in sich, was den Heiterkeits-Sound der beiden Nachfolge-Alben ausmachen wird, nicht zuletzt eine betörende Melodie und Rhythmik. Ebenfalls sehr gelungen sind „Wässere mich“ und „Kapitän“, aber auch der Opener „Factory“, während die drei dem Schlusstitel „Pauken und Trompeten“ vorhergehenden jeweils sehr langsamen Stücke sich untereinander so ähnlich sind, dass leichte Ermüdungsreflexe des Zuhörers nur schwer zu vermeiden sind…

Kurzum, im Frühwerk der „Heiterkeit“ wechseln sich Licht und Schatten ab, doch ist es ohne jede Frage eine Entdeckung wert, zumal wenn man – wozu sich der Rezensent hier ausdrücklich bekennen möchte – Stella Sommer und „Die Heiterkeit“ eine große Zukunft prophezeit. Das Urteil lautet: voll befriedigend (10 Punkte) für „Herz aus Gold“ und noch einmal voll befriedigend (12 Punkte) für „Monterey“.

Die Heiterkeit
Herz aus Gold
Staatsakt (H’Art) 2012
ASIN: B0087OR138

Die Heiterkeit
Monterey
Staatsakt (H’Art) 2014
ASIN: B00G756GRS

Veröffentlicht von on Juni 13th, 2022 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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