Das südpolnische Wadowice, Geburtsort Papst Johannes Paul II., ist heute ein Ort internationaler Begegnung
Benedikt Vallendar
Ja, die Crèmetörtchen gingen gut, sagt Igor Pawlok (23) in gebrochenem Englisch. Igor ist Geschichtsstudent, lebt in Krakau und ist im Nebenjob Angestellter in der kleinen Bäckerei nahe der Basilika von Wadowice in Südpolen, dem Geburtsort Karol Wojtylas, Papst Johannes Pauls II. Und ja, fügt Igor hinzu, es stimme, dass viele Kunden nach den berühmten Törtchen fragten und sie manchmal schachtelweise mit nach Hause nähmen. Warum die Törtchen so berühmt sind? „Nun, in seinen persönlichen Aufzeichnungen erinnerte sich Papst Johannes Paul II. später gerne zurück an unbeschwerte Stunden in eben dieser Bäckerei“, sagt Igor. Ein Ort, an dem die Klassenkameraden sich nach Unterrichtsschluss zum Kartenspiel trafen, mit den Mädchen flirteten und die für Wadowice so bekannten „Papsttörtchen“ aßen. In fast jedem Fremdenführer zu Wadowice sind sie erwähnt und werden inzwischen auch andernorts als „örtliche Spezialität“ angeboten. Ein Schild am Eingang von Igors Bäckerei erinnert werbewirksam an den berühmten Sohn der Stadt, der dort seine ersten Schuljahre verbrachte, viel Sport trieb und als Ministrant in der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Basilika aushalf.
Sparsam und solide
Die Nähe zur Kirche war der Familie Wojtyla ein Stückweit in die Wiege gelegt. Denn nur einen Steinwurf von der Basilika entfernt liegt das Elternhaus, besser gesagt: Das Haus, in dem die Eltern schon vor dem ersten Weltkrieg eine kleine Wohnung angemietet hatten, und in der der spätere Pontifex am 18. Mai 1920 das Licht der Welt erblickte. Der Vater war gelernter Schneider, Unteroffizier und später Leutnant in der polnischen Armee; die Mutter kümmerte sich um den Haushalt, eine kleinbürgerliche Familie, weder reich noch arm, aber sparsam lebend und auf eine solide Ausbildung der Kinder achtend. „Immer wieder hat Wojtyla das enge Verhältnis zu seinen Eltern und die tiefreligiöse Atmosphäre daheim beschrieben“, sagt Pater Eduard Prawdzik SVD, Steyler Missionar und viele Jahre Seelsorger in Polen und der russischen Enklave Kaliningrad. Es gab in der Familie Wojtyla noch zwei Geschwister, die früh starben, ein Bruder, gelernter Mediziner 1932 an Scharlach und die Schwester bereits im Jugendalter. Karol Wojtyla, der mit acht Jahren seine Mutter verlor und als ehrgeiziger Schüler galt, ging Ende der dreißiger Jahre nach Krakau, wo eine Karriere begann, die ihn bis an die Spitze der römischen Kurie katapultierte. 1978 wurde der charismatische Seelsorger und begeisterte Theaterschauspieler zum Papst gewählt, 2005 starb er nach längerer Krankheit. Zeitlebens hatte Karol Wojtyla maßgeblich zum Niedergang des Kommunismus in seinem Heimatland Polen und im gesamten Ostblock beigetragen. „Wojtyla finanzierte, was in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, über die Vatikanbank die polnische Oppositionsbewegung Solidarnosc und veränderte damit ein Stückweit die Welt“, sagt die habilitierte Historikerin Ines Stahlmann von der FU Berlin.
Skier und eine alte Olympus
Doch von Weltpolitik ist in Wadowice heute kaum etwas zu spüren. Vielmehr gleicht der Ort einem verschlafenen Gebirgsnest, idyllisch gelegen in den frühlingsgrünen Bergen der hohen Tatra, wo Menschen aus vieler Herren Länder zusammenkommen, um sich auf Spurensuche des charismatischen Papstes zu begeben. Und sie werden fündig. Auf drei Etagen erzählt das Papstmuseum in der Uljitza Spadzista 8 die Lebensgeschichte eines Mannes, der sich weit über die katholische Kirche hinaus Respekt und Anerkennung erworben hat. Persönliche Gegenstände und Fotos aus Kindertagen liegen in Vitrinen, darunter Skier, Turnschuhe, eine Olympus-Schreibmaschine und auch die originale Pistole, aus der am 13. Mai 1981 auf Karol Wojtyla auf dem Petersplatz in Rom geschossen wurde. Obwohl der Tathintergrund im Dunkeln blieb, spricht aus Sicht von Historikern vieles dafür, dass der Mordauftrag aus dem Umfeld des sowjetischen Geheimdienstes KGB gekommen war, weil dessen Strategen schon früh und weitsichtig die Bedrohung des Kommunismus durch diesen Papst erkannt hatten. In großen Pressecollagen erinnert das Museum an das, was die Welt damals über das Attentat dachte. Dazwischen laufen Filmsequenzen, wahlweise auf Englisch und Polnisch, die immer wieder an das dramatische Ereignis erinnern. Ein Ereignis, das nicht verhinderte, dass Karol Wojtyla mit seinem Charisma ein Stückweit die Welt veränderte, etwa, indem er seinen Landsleuten in der Ablehnung des menschenverachtenden Kommunismus Mut zusprach, sie immer wieder mit den alles entwaffnenden Worten: „Fürchtet Euch nicht“ aus Matthäus 10,26 ermunterte. Als Papst Johannes Paul II. seinen Attentäter später im Gefängnis besuchte, gingen die Fotos durch die Weltpresse.
Bindung zum Judentum
Wojtylas Ausstrahlung und das, was er für die Welt geleistet hat, wirkt fort, auch in Wadowice; doch leider nicht immer so, wie sich das Menschen mit höherer Schulbildung oft gerne ausmalen. Denn beim Spaziergang durch die Innenstadt wird deutlich, dass der Ort vor allem finanziell auf das Erinnern an den früheren Pontifex angewiesen ist. Neben Cafés, Hotels und Restaurants auch die zahlreichen Souvenirshops rund um die Basilika. Der Papst als Tassenmotiv, auf Halstüchern und Postkarten; daneben Kruzifixe, Rosenkränze und leicht überteuertes Kinderspielzeug aus Holz. Auch das gehört zur Wahrheit: Wer nach Wadowice kommt, muss sich entscheiden, ob er suchen, beten oder einfach nur Geld ausgeben möchte. Immerhin gibt es auf dem Platz vor der Basilika kostenloses WLAN, was vor allem junge Leute nutzen. Fast preiswert wird es in der rund 300 Meter langen Fußgängerzone, wo neben Fast Food, gebrauchten Flachbildschirmen und Handyzubehör auch buntes Plastikgeschirr aus China das Sortiment der wenigen Schaufenster ziert.
Doch daneben gibt es ja auch noch die Möglichkeit der Begegnung, und das mit Menschen aus der ganzen Welt. „Sogar aus Israel haben wir Gäste“, sagt die freundliche Dame im Tourismusbüro, unweit des Papstmuseums. Was wohl auch damit zu tun habe, dass es in Wadowice bis zum zweiten Weltkrieg ein reges jüdisches Leben gab, sagt sie. Und auch, dass Karol Wojtyla später immer wieder betont habe, wie sehr er sich als Christ und Katholik dem Judentum verpflichtet fühlte. Enge Freunde aus Schul- und Kindheitstagen seien Juden gewesen, bestätigten später Weggefährten. „Und als Wojtyla bei Kriegsausbruch zeitweilig im Untergrund lebte, teilte er das Schicksal jener, die im Weltbild Adolf Hitlers keinen Platz hatten und der Vernichtung anheimfallen sollten“, sagt Historikerin Stahlmann. Dies geschah vor allem im früheren Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, das nur rund vierzig Kilometer von Wadowice entfernt liegt und wo bis zur Befreiung im Januar 1945 rund 1,1 Millionen Menschen, darunter der katholische Ordensgeistliche Maximilian Kolbe OFM ihr Leben ließen. Und vielleicht war es eine Fügung, dass sich nach Kriegsende und ausgerechnet unweit des Grauens ein junger Mann namens Karol Wojtyla berufen fühlte, der Welt zu zeigen, dass ein Leben ohne Gott keine Zukunft hat.
Fotos: BV